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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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ich noch einmal überprüft: Am 7. November 1968 gab es die berühmte Ohrfeige, und ich erzähle von der Nacht des 6. auf den 7. Dezember. Selbst auf die Gefahr hin, als Nachahmungstäter zu gelten, ich will nicht der Feigheit vor den Fakten bezichtigt werden.
    Also die Klarsfeld, so das Märchen aus uralten Zeiten, mit einem Presseausweis zum Parteitag, der Kanzler gibt Autogramme, sie geht von hinten heran, nicht von vorn, damit er nicht ausweichen kann, und schlägt, als Kiesinger sich umdreht, kräftig zu und ruft: Nazi, Nazi! Am Nachmittag ein Schnellverfahren wegen Körperverletzung und vorsätzlicher Beleidigung, weil man ein ehemaliges Mitglied der NSDAP und einen für Zensur und Auslands-Propaganda zuständigen Mann im Auswärtigen Amt nicht Nazi nennen darf. Ein Jahr Gefängnis ohne Bewährung - und was ist der Effekt? Beifall aus aller Welt, eine Heldin, über die man spricht, eine Frau, die man nicht vergessen wird, ein überall fotografierter, interviewter, geliebter und gehasster Star.
    Ich hörte leises Schnarchen neben mir, legte behutsam eine Hand auf Catherines Hüfte und kämpfte gegen die aufsteigende Lust, die Schlafende zärtlich zu wecken, noch einmal zu verführen und endlich den ganzen Quatsch zu vergessen. Sie war im Tiefschlaf, sie hätte mir jede Annäherung übel genommen. Da erschreckte mich die Frage, was Catherine zu meiner fixen Idee sagen würde. Die Antwort wäre eindeutig gewesen. Ich beschloss, sie nie zu fragen, nie einzuweihen.
    In jenen Jahren traute ich den Intuitionen der Frauen noch nicht und dachte wie Soldaten und Westernhelden: Ein Mann trifft seine schwierigen Entscheidungen allein, die Frau wirft ihr Herz ins Spiel und macht alles nur kompliziert. Was mich wirklich beunruhigte, war die Frage:
    Wie viele Jahre Gefängnis werden genügen, um unsere Liebe zu zerstören? Zwei, fünf, acht? Oder ein halbes?
    Wenn ich schon die halbe Nacht zum Grübeln verdammt war, wollte ich lieber über konkrete Dinge spekulieren, zum Beispiel über das passende Mordwerkzeug. An Pistolen, Gift, Knüppel, Messer dachte ich, aber meine Phantasie war dürftig wie die eines Laien, eines Anfängers, ich hatte keine kriminelle Erfahrung, nicht mal ein Faible für Kriminalromane. Ich spielte viele Möglichkeiten durch, stellte mir den Täter in verschiedenen Posen vor, ich und die Pistole, ich und die Giftflasche, ich und der Knüppel, ich und das Messer. Nichts sah überzeugend aus, alles wirkte unbeholfen wie in Stummfilmen oder Karikaturen, und ich vertagte die Fragen der praktischen Ausführung. All die schönen Mordpläne verebbten, ich passte meinen Atemtakt dem der Freundin an und muss dann bald in die sanften Wellen des Schlafs gesunken sein.
    Axel verdanke ich übrigens die Gewohnheit, den Namen R. abzukürzen. Wer meinem Vater den Kopf abschlagen lässt, hatte er gesagt, dem schlage ich wenigstens ein paar Buchstaben von seinem Ehrennamen ab, auch wenn es lächerlich ist. Axel studierte Psychologie, also leuchtete mir das Argument ein.
Die Weisheit der Mülltonnen
    Die Zeitungen, die Catherine und ich beim Frühstück am Samstagmorgen lasen, kommentierten das Urteil in ungewohnter Schärfe. Was die Presse am meisten in Wallung brachte, war die Begründung des Schwurgerichts. Über Kaffeetassen und Marmeladenbrötchen lasen wir uns die Zitate aus dem Tagesspiegel der Frankfurter Rundschau und der B. Z. vor. Der Vorsitzende hatte argumentiert, die Urteile des Volksgerichtshofs seien aus damaliger Sicht nicht zu beanstanden, der Richter R. habe bei der Mitwirkung an den Todesurteilen das Recht nicht gebeugt. Die Urteile seien aus heutiger Sicht unmenschlich, aber jeder Staat habe gerade in Krisenzeiten und Kriegen das Recht zur Abwendung von Gefahren, wozu auch Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung gehörten, deswegen kann man einem Richter heute keine Vorwürfe machen. Sogar die Springer-Presse zog mit: Ein schwarzer Tag für die deutsche Justiz und zitierte die erste Urteilskritik: Ein Freispruch für Freisler.
    Catherines Abscheu und die Kommentare der Zeitungen beruhigten mich. Ich war nicht allein mit meinem Entsetzen. Der Freispruch war so skandalös, der Widerspruch so laut, die Empörung der Journalisten so deutlich, dass ich mich nicht in den Vordergrund drängen musste. Beglückt von der allgemeinen Entrüstung, fuhr ich in meine Wohnung zurück, durfte die wilden Pläne der Nacht vergessen und meiner Arbeit nachgehen. Es war genug zu tun, zuerst ein Referat über den
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