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Mein Herz ruft deinen Namen

Mein Herz ruft deinen Namen

Titel: Mein Herz ruft deinen Namen
Autoren: Susanna Tamaro
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einem Ausflug kam ich zufällig hier vorbei und habe mich in den Ort verliebt. Als ich ihn sah, dachte ich unwillkürlich, dass er auch dir gefallen hätte. Hier hätten wir Flüsse sein können, wie du wolltest, wir hätten auf der Wiese sitzen können mit all den Enkeln, die du dir vorgestellt hattest. Ein Überbleibsel dessen, was eine Schäferhütte gewesen sein musste, stand noch. Drei Steinmauern ohne Dach, rundherum Blech, Reste von Feuerstellen, verkohlte Bretter und ein paar leere Flaschen.
    Wieder im Tal, habe ich mich nach dem Eigentümer erkundigt, es war ein alter Rentner, der es kaum glauben konnte, dass jemand diese entlegene Ruine kaufen wollte.
    Das Haus zu restaurieren war kein leichtes Unternehmen. Nachdem der Kaufvertrag unterzeichnet war, erfasste mich ein Gefühl der Trostlosigkeit: Es war eher ein Haufen Steine als eine Wohnung; über heruntergestürzten Ziegeln und Wellblech wucherte Brombeergestrüpp und dazwischen Brennnesseln. Als ich dann hineinging, hörte ich das unverwechselbare Zischen einer Viper, doch nun konnte ich nicht mehr zurück.
    Während ich vorsichtig den Schutt wegräumte, wurde mir klar, dass, sobald der Mensch sein Haus verlässt, sehr rasch das, was sticht, verletzt und tötet, seinen Platz einnimmt.
    Dornensträucher, Brennnesseln, Vipern.
    Aus welchem Grund machen sich in Ruinen nicht Primeln und Klee breit? Warum nisten sich statt der Schlangen keine Häschen dort ein?
    Wo der Mensch innehält, zeigt die Natur sofort ihr feindseligstes Gesicht – ob es sich nun um eine Ruine, eine Weide oder ein Feld handelt, was dort wächst und sich ausbreitet, trägt immer den Keim der Anmaßung in sich.
    Die folgenden Jahre haben mir diese Erkenntnis bestätigt. Wenn du innehältst oder abgelenkt bist, rückt die Natur vor, erobert und verschlingt alles. Die Idylle, die du dir ausgemalt hast, solange du in deiner Stadtwohnung warst, verfliegt, sobald du begreifst, dass ihr wahres Gesicht nicht Wohlwollen, sondern Blindheit ist.
    Innehalten, abgelenkt sein heißt untergehen.
    Nachdem ich das Gestrüpp ausgerissen, die Brennnesseln abgemäht und die Viper verjagt hatte, kam ein befreundeter Architekt und half mir beim Aufbau. Im Morgengrauen erschien er mit seinem Pick-up und lud das Material ab. Ich schlief schon dort oben, in einem Zelt neben dem Haus. Er gab Anweisungen, und ich befolgte sie. Wir arbeiteten den ganzen Tag und sprachen wenig. Der romantische Traum, alles allein zu machen, hatte sich gleich bei meinen ersten Versuchen verflüchtigt, einen Stein auf den anderen zu setzen, ohne dass alles wieder einstürzte. Wie du genau weißt, war ich noch nie ein geschickter Handwerker, schon bei einem tropfenden Wasserhahn oder dem einfachsten mechanischen Problem fühle ich mich absolut überfordert.
    Den Schafstall dagegen habe ich zu meiner größten Befriedigung tatsächlich alleine gebaut, Brett für Brett – manche etwas krummer, manche gerader –, und dann rundherum ein schönes Gehege eingezäunt, damit die Schafe auch an Wintertagen ins Freie können.
    Nachdem der Schafstall fertig war, habe ich das Feld gerodet und das Dornengestrüpp auf der großen Weide am Waldrand beseitigt. Nach meinem Misserfolg als Maurer fürchtete ich, auch als Bauer zu scheitern. Ich war schon immer ein Stadtmensch, bin mit Büchern aufgewachsen und habe Menschen ärztlich behandelt, aber ich hätte nicht einmal gewusst, wie ich die Geranien, die meine Mutter auf dem Balkon zog, am Leben halten sollte. Nachts wurde mir ab und zu angst und bang. Wie sollte ich mich nur mit meiner Hände Arbeit durchbringen? Hatte ich das Ganze nicht doch in einem Augenblick von Wahnsinn und Hochmut entschieden?
    Sobald ich aber den Spaten in die Hand nahm, wurde mir klar, dass alles schon auf geheimnisvolle Weise in mir schlummerte. Ich verstand es, auf die Erde zu hören – feucht, weniger feucht, trocken, lehmig – und sie je nach Notwendigkeit zu bearbeiten, ich verstand es, die winzige Stimme der Samen zu vernehmen und die geheime Verbindung zu spüren, die sie mit den Gestirnen verband. Ich wusste, wann der richtige Augenblick gekommen war, um sie in die Erde zu senken, und was die gerade aufgegangenen Pflänzchen brauchten – Wasser, Schutz vor Sonne oder Frost, einen aufmerksamen Blick, der genau erahnte, was ihnen schaden könnte.
    Meine Mutter hast du kaum kennengelernt und stets nur durch den stumpfen Filter meiner kargen Schilderungen. Was meine Großeltern – ihre Eltern – betrifft,
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