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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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schon war sie sich ungenügend vorgekommen. Zu unerfahren als Mutter für einen Sechsjährigen, was sie nach dem Tod ihrer Schwester plötzlich sein musste. Wo sie doch selbst nie Kinder gehabt hatte. Zu provinziell für einen Jungen, der nach London ging, um zu studieren. Mein Gott, Adrian wollte die ganze Welt erobern mit seinen Ideen, und sie hatte ihr Leben lang dieses Cottage als Pension betrieben und war nie weiter gekommen als bis Torquay. Und schon das war ihr zu groß gewesen.
    Er war so voller Zukunft, und sie lebte nur für eine Vergangenheit, die immer weiter zurücklag. Sie kam sich so alt vor.
    Kein Wunder, wenn ihm nichts an ihrem Urteil lag. Maud geisterte immerhin schon seit fast einem Jahr durch sein Leben: Vielleicht irrte sie sich ja? Vielleicht waren ihre Moralvorstellungen überholt? Zu ihrer Zeit wäre es undenkbar gewesen, eine reife Frau und ein Junge wie Adrian, aber galt das heute überhaupt noch? Vielleicht zeugte es am Ende von Reife, dass Maud zögerte? Rose Ames musste sich eingestehen, dass sie es nicht wusste. Sie räumte das schmutzige Geschirr zusammen und machte sich an den Abwasch. Dem fühlte sie sich immerhin gewachsen. Vielleicht sollte sie sich einfach aus allem heraushalten?, überlegte sie und prüfte die Wassertemperatur. Wie es aussah, konnte sie Adrian ohnehin nicht helfen. Sie konnte nur da sein und Tee kochen.
    Abwarten und Tee trinken. Sie ging noch einmal zum Tisch, um die letzte Tasse zu holen, betrachtete das unfertige Aquarell und lächelte etwas darauf an, das nur sie sehen konnte.

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5. Kapitel
    «Ah, Ames, auch mal wieder da!» Patrick Morgan, der Besitzer des kleinen Supermarktes – Krämerladen wäre womöglich der passendere Ausdruck gewesen –, sprach Adrian mit seinem Nachnamen an, wie es unter den Einheimischen üblich war. Manche wurden auch mit dem Namen ihres Hauses gerufen, wenn dieses alt war und seine eigene Geschichte hatte. Viele der Fischerhäuser, die in dichtgedrängten Reihen auf dem Steilhang standen und den Ort Broxton bildeten, stammten aus elisabethanischer Zeit. Fassaden mit Fachwerk, hier ein wenig Stuck, dort ein paar Sandsteinpfeiler, doch alles in allem war es eher idyllisch als großartig. Man hatte nicht das Glück gehabt wie Paignton, wo ein größenwahnsinniger Nähmaschinenfabrikant sich im letzten Jahrhundert eine Villa hingesetzt hatte, die ernsthaft versuchte, das Schloss von Versailles nachzubilden. Man besaß auch keine Parks mit tropischem Blumenschmuck und gestutzten Eiben. Oder exotische Gärten wie Torquay. Und keine berühmte Krimiautorin hatte nachweislich hier geurlaubt, auch wenn manche das gerne behaupteten; überhaupt niemand hatte je hier gelebt, um dessentwillen man ein Schild an eine Fassade hätte schrauben können.
    In Broxton roch es immer noch nach Fisch, und die blauen und roten Boote im Hafen liefen jeden Morgen auf Fang aus. Alles, was man vorzuzeigen hatte, waren die Reste einer Geschützstellung aus dem Zweiten Weltkrieg und ein verfallener Kai, von dem aus angeblich einige Boote zu Wasser gelassen worden waren, die sich am D-Day beteiligt hatten, dem Sturm der Alliierten auf die Küste der Normandie. Und man hatte den leicht zurückgebliebenen Pete, der Touristen dorthin führte und ihnen für ein bisschen Taschengeld die Geschichten seines Großvaters aus dem Krieg erzählte.
    Pete hing auch in dem kleinen Laden herum, ein Dosenbier in der Hand, genau wie einige der anderen jungen Männer aus dem Ort. Es war Mittag, und man hatte wenig zu tun. Sie alle kannten Adrian von früher und grüßten ihn. Wenn auch vorsichtig. Er mochte ja fast einer von hier sein. Einer der Ihren aber war er nicht.
    «Wie geht’s denn so?», fragte Patrick Morgan, da er die Neugierde der Trinkkumpane spürte, die sich mit aufgestützten Ellenbogen an einem runden Bartisch lümmelten und unbeteiligt taten. «Bist du nicht studieren gegangen?» Seine Koteletten, die langsam zum zweiten Mal aus der Mode kamen, waren inzwischen grau meliert, und seine hohe Stirn glänzte.
    «Mmmh», gab Adrian zurück. «Und noch zwei Pfund Kaffee, bitte.»
    Patrick holte das Gewünschte.
    Pete, dessen Vater das Angelgeschäft betrieb, zwei Häuser weiter die Promenade hinunter, raffte sich zu einer Frage auf. «Medizin, oder?»
    Die anderen lachten, als habe er einen besonders originellen Witz gemacht. Pete grinste selig. Sein Mund stand offen.
    «Nein, Architektur.» Adrian kniff die Lippen zusammen. Wieso antwortete
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