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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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Rascheln ihr verriet, dass er drauf und dran war, zu ihr herunterzuklettern, holte sie tief Luft und krabbelte aus dem Rhododendron. Es dauerte einen Moment, bis sie sich aus dem Gestrüpp und ihrer eigenen Haarflut so weit befreit hatte, dass sie aufrecht vor ihm stand.
    Dann allerdings bot sie einen Anblick, der es vollkommen rechtfertigte, dass Adrian stehen blieb und kein weiteres Wort herausbrachte.
    In ihrem schwarzen Haar, das schwer und glänzend um sie floss, hingen noch einige Blüten und Blätter. Darunter schimmerte ihr nackter Körper wie Elfenbein. Sie erinnerte den Jungen an alte Gemälde, die er einmal gesehen hatte, an Abbildungen aus Märchenbüchern, an nichts, von dem er jemals geglaubt hatte, dass es wirklich sein könnte. Konnte man so schmal sein wie sie? Und dabei wirkte sie sportlich und beweglich auf ihn. Und der Busen … Adrian räusperte sich. Er schaute zur Seite. Gerade noch nahm er einen Schmutzfleck auf ihrer linken Wange wahr, der ihr einen Hauch von Realität verlieh, genug, um den Mut zu finden, sie erneut anzusprechen. «Hi», sagte Adrian und trat einen Schritt näher. Da bemerkte er ihr aufgeschlagenes Knie.
    Er war so ein Idiot. Fantasierte hier etwas von Erscheinungen, und dabei hatte sie vermutlich einen Unfall gehabt. Sie war verletzt! Sie brauchte seine Hilfe! Es war Zeit, dass er zu sich kam. «Brauchst du vielleicht Hilfe?»
    Irritiert stellte er fest, dass sie nicht antwortete. Aus ihren Haaren tropfte es hörbar, so still war es zwischen ihnen.
    «Du bist ja ganz nass! Kommst du aus dem Wasser?» Er überlegte. «Warst du auf der Strandparty? Hat dir jemand was getan?»
    Noch immer rührte sich das Mädchen nicht. Stand einfach da und tat nichts, um sich irgendwie zu verhüllen. Sie musste unter Schock stehen. Ob sie Drogen genommen hatte? Ihre Augen, solche Augen hatte er noch nie gesehen, sie schimmerten silbrig im Mondlicht. Wenn es nicht albern gewesen wäre, hätte er gesagt, sie glommen wie die eines Wolfes. Oder einer Katze.
    «Alles okay?», versuchte er es noch einmal und trat einen Schritt näher. «Du solltest dir wirklich etwas überziehen», fuhr er dann fort und zog sich die Jacke aus. «Da.» Er hielt sie ihr hin und kam sich vor, als locke er ein wildes Tier an. «Ich heiße Adrian. Adrian Ames. Ich wohne oben, im Klippenhaus.» Er machte noch einen Schritt auf sie zu. Sie war einen ganzen Kopf kleiner als er und zitterte verhalten. Nein, sie war kein wildes Tier, sondern ein verängstigtes Mädchen, das ihn anschaute, als hätte sie noch nie einen fremden Menschen gesehen.
    «Geht es dir gut?», fragte er leiser. «Ich will dir doch nur helfen.»
    So nah, wie er jetzt bei ihr stand, fühlte Ondra seine Körperwärme, diese unglaubliche, prickelnde Hitze, von der Aura und die anderen so schwärmten. Warm war jede Robbe, schon wahr, aber Robben waren etwas ganz anderes. «Sie küssen nicht», hörte Ondra ihre Freundin lachend sagen. Begehren schoss in ihr hoch. Unwillkürlich hob sie die Arme, eine Bewegung ging durch ihre Hüften. Gleich begann ihr Tanz.
    In manchen Gegenden nannte man Meerfrauen Sirenen, man glaubte, ihr Gesang risse die Menschen hin, sodass sie alles vergäßen und in den Tod gingen. So hieß es immerhin seit einigen tausend Jahren. Die deutsche Flussfrau Loreley hatte es mit diesem Vamp-Image zu Weltruf gebracht. Nun, ganz falsch war das nicht.
    Manche Sirenen sangen, gerne und mit Leidenschaft und manchmal mit einer gewissen Schadenfreude, die nicht jeder überlebte. Das kam schon vor. Das wirkliche Naturereignis aber war ihr Tanz. Man könnte ihn ein unvergessliches Erlebnis nennen, magisch, sinnverwirrend, unrettbar anziehend. Aber leider war es genau umgekehrt. Wer ihn einmal gesehen hatte – und danach unweigerlich in die Arme der Tänzerin gesunken war, so wirkte die Sache nun einmal –, der hatte nach dem Erwachen jede Erinnerung daran verloren. Meerfrau, Rausch, Umarmung – alles war weg. Also ein ultravergessliches Erlebnis, alles in allem. Wirklich befriedigend war das nicht, auch wenn die alten Griechen ein paar hübsche Geschichten daraus gemacht hatten.
    Lasziv ließ Ondra ihren Kopf kreisen. Sie sah, wie sein Mund sich öffnete, seine Lippen feucht wurden. Sie spürte, wie er näher kam, noch näher, bis sich ihre Körper fast berührten. Sein Atem flog, schneller und schneller, sie konnte ihn auf ihren Wangen fühlen und bog ihm den Hals entgegen. Dann hielt sie inne.
    Vergessen. Er würde sie vergessen haben,
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