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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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Woge, die das Leben mit zurück ins Meer nahm. Zurück blieb nur sie selbst. Nackt, feucht. Und das Wasser tropfte ihr aus den Haaren, die wirr vor ihrem Gesicht hingen.
    Ondra strich die Strähnen beiseite. Der Strand vor ihr war leer. Und friedlich. Der Flutsaum mit seinen Muscheln, dem Treibholz und kleinen Kadavern lag still da. Nur ein paar Nagetiere flüchteten raschelnd über den Sand. Über einem Busch tanzte eine Wolke von Eintagsfliegen, die ihr Leben im Mondlicht zu verlängern suchten. Ondra lächelte. Sie hatte einmal versucht, sie zu essen, weil sie sie an einen Fischschwarm erinnert hatten. Sie schmeckten nicht.
    Ondra hob den Kopf. «Ich hasse dich», rief sie dem Mond zu, der ungerührt weiter alles in sein Licht tauchte. «Verdammter Vollmond. Wieso lasse ich mich nur immer wieder darauf ein.»
    Versuchsweise richtete Ondra sich auf. Es klappte; schwankend, aber sicher stand sie auf ihren beiden – Dingern. Sie wusste, dass Menschen sie Beine nannten, sie hatte es auf einer der Strandfeiern gehört. Männer machten Frauen Komplimente darüber, wenn sie lang und schlank waren. Frauen zeigten sie dann gerne vor. Ondra wusste, dass ihre Beine den Anforderungen mehr als entsprachen, wenn sie selbst sich auch nicht dazu durchringen konnte, sie hübsch zu nennen. Sicher, sie waren braun und lang und glatt und schimmerten im Mondlicht. Aber was war das schon gegen die irisierende Schönheit ihrer üblichen Schuppen? Immerhin fühlte es sich ganz gut an. Und es roch nicht schlecht, das, was sie Haut nannten.
    Da stand sie also, aufrecht und steif, beinahe wie diese komischen Seepferdchen, die immer senkrecht im Wasser standen und auch nicht ordentlich vorankamen. Eine lächerliche Fortbewegungsart. Unwillkürlich musste Ondra kichern. Die ersten Schritte waren schwierig, dauernd hatte man das Gefühl, irgendwie herunterzufallen, aber dann ging es rasch besser. Ihr Körper erinnerte sich, und schon lief sie wie ein Reh über den Strand und kletterte in der Felswand herum. Sie tat das nicht zum ersten Mal.
    Genau wie Aura war auch sie schon bei den Strandpartys der örtlichen Jugend gewesen. Im Sommer kamen die Touristen dazu, Jungen und Mädchen aus London, die mit ihren Familien hier waren oder alleine hertrampten, um ein bisschen Strandleben zu schnuppern. Sand, Sonne, Drinks und sorglose Zeiten. An der Strandpromenade wuchsen, dank der warmen Strömung draußen, zwei schüchterne Zwergpalmen – ein Hauch von Riviera an der sonst eher kühlen englischen Küste.
    Ondra verstand nichts von Tourismus. Sie kannte die Unterschiede nicht zwischen Einheimischen und Urlaubern, zwischen denen, die vorbeikamen, und denen, die blieben, denen, die nur feierten, und denen, die tagsüber arbeiteten. Unterschiede, die wichtig waren in der kleinen Gemeinde. Aber sie hatte ein Gespür für Jäger und Beute und wusste, welche Art Mann hinter welcher Art von Frau her war. Und sie wusste, dass die blöden Menschen im Gegenzug nicht den geringsten Instinkt besaßen. Sonst hätten sie bemerkt, dass Aura eine Jägerin war, und keine Beute.
    Ondra kicherte wieder, als sie daran dachte, obwohl sie Auras Zeitvertreib nicht mochte. Sie selbst hatte das laute Treiben an Land bald abgestoßen. Was die Menschen tranken, roch irgendwie verdorben für ihre Nase. Auch diese Angewohnheit, sich mit rhythmischen Geräuschen zu beschallen, so laut, dass man sich schon in einer eigenen Welt bewegte, weil man die andere gar nicht mehr hören konnte. Davon wurde ihr schwindelig, es brachte ihr Sonar durcheinander. Nein danke. Sie schüttelte sich. Da war sie lieber hier und alleine.
    Das heißt, ganz alleine war sie nicht immer gewesen. Einmal jedenfalls, es war schon eine ganze Weile her, da hatte hier ein Junge gesessen, oben, auf der Mauer. Ondra schien es, als wäre auch er lieber alleine gewesen, fernab von all dem Trubel. Er hatte lange Haare gehabt – für einen Menschenmann jedenfalls, braun und ein wenig gelockt. Ondra hatte gesehen, wie sie ihm in die Stirn fielen. Seine Augen waren dunkel gewesen, wie das Meer bei Nacht, aber Ondra wusste einfach, dass sie bei Tage genauso blau waren wie der Ozean. Sie war ganz nahe an ihn herangekrochen, hatte sich aber verborgen gehalten. Obwohl sie Beine besaß, hatte sie ihr Versteck damals nicht verlassen. Blöd eigentlich. Jetzt bereute sie es bitter. Sie erinnerte sich noch genau an die Art, wie er dagesessen hatte mit übereinandergeschlagenen Beinen, die Arme locker herabhängend. Mit
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