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McJesus

McJesus

Titel: McJesus
Autoren: Bill Fitzhugh
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voll. Er war sich nicht sicher, was ihn mehr ärgerte: dass er sich mit dieser verrückten Frau auseinander setzen musste oder dass er jemanden bezahlt hatte, es für ihn zu tun. Ich reiße mir den Arsch auf für das Geld, das ich kriege, dachte er. Warum bekomme ich so wenig für mein Geld? Wo ist die Beschwerdeabteilung? Dan legte die Hände um den Mund und brüllte erneut: »Ich komme jetzt rüber und dann reden wir! Und untersteh dich zu schießen!« Dan wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. »Ich bin unbewaffnet!«
    Der Mann im weißen Jackett sah Dan an. »Sind Sie verrückt? Sie wird Ihnen diesen Anzug ruinieren.«
    »Ja«, sagte Dan. »Manchmal kommt man sich wie ein Idiot vor und manchmal nicht.« Er zog sein Jackett aus und hängte es an den Seitenspiegel. Dann wappnete er sich innerlich und richtete sich auf. Eine Sekunde später explodierte eine dunkelrote Farbpatrone auf seinem blütenweißen gestärkten Hemd. Er holte tief Luft. »Verdammt«, schrie er. »Wirf die Knarre weg, Mom. Die Show ist gelaufen!«
    Fünf Minuten später stand Dan wie ein zorniges Performance-Kunstwerk im Büro des Altenheims. Sein Hemd war ruiniert, seine Laune nicht minder. Er holte sein Scheckbuch hervor und warf einen Blick auf die Schwester hinter dem Schreibtisch.
    Demografisch war sie »Stadtmitte Dienstleistung«. Sie war eine Dosenfutter essende, Massenblätter lesende, nicht ganz allein stehende Mieterin mit stark überzogenem Dispositionskredit. »Können Sie ihr nicht mehr Thorazin oder etwas Ähnliches geben?«, fragte Dan.
    »Ihre Mutter bekommt kein Thorazin«, erwiderte die Schwester. »Sie ist auf Divalproex Natrium.«
    Und das aus gutem Grund. Nach jahrzehntelangen, immer stärkeren Stimmungsschwankungen hatte man bei Dans Mom eine Zyklothymie diagnostiziert. Sie war manisch-depressiv und ein Paradebeispiel für das, was in der Psychiatrie als periodisches Irresein bezeichnet wird. In ihren manischen Phasen war sie wundervoll. Die Manie äußerte sich gewöhnlich in harmlosen Eskapaden wie zum Beispiel einer Geiselnahme mit einer Farbpistole in dem Heim, wo sie lebte. Auf der anderen Seite konnten ihre Depressionen lähmend sein. Ein überwältigendes Gefühl von Verzweiflung und Leere nahm ihr jedes Interesse an einer Tätigkeit. Sie hatte keinen Appetit, und wenn die Depression ohne Behandlung verlief, konnte sie im Nu bis zu fünfzehn Pfund abnehmen, und das bei einem Körper, der sich eine solche Radikalkur nicht leisten konnte. Manchmal war sie vom Tod besessen. In ihrem Krankenbericht wiederholte sich der Eintrag »suizidgefährdet«.
    Ihr Name war Ruth. Als Dan und sein Zwillingsbruder Michael Kinder waren, hatten sie ihre Mutter mehr als einmal weinend und in Fötusstellung auf dem Fußboden liegend gefunden.
    Weil sie keine Vergleichsmöglichkeit hatten, nahmen sie an, jede Mom würde sich so benehmen. Doch schon damals war Ruth eine von vielen Millionen, die an einer nicht diagnostizierten Gemütskrankheit litten. In ihrer Ahnungslosigkeit und weil ihr gar nichts anderes übrig blieb, hatte sie einfach versucht, damit klarzukommen – auch wenn sie nicht dahinter kam, warum sie sich so oder so fühlte, und sich selbst die Schuld dafür gab –, um ihre zwei Jungen großzuziehen, deren Vater verschwunden war und der sie am Rand der Armutsgrenze zurückgelassen hatte.
    Die Armut hasste Dan am meisten, damals und heute – wenigstens dachte er das. Weil sie arm waren, mussten sie sich erniedrigen und Almosen annehmen. Armut und Erniedrigung waren in der Tat das, worunter Dan in seiner Kindheit am stärksten litt.
    Und weil er auch vor dem Fernseher aufwuchs, wurde er permanent von Werbespots berieselt, die er als armer Junge nur als Hohn und Spott empfinden konnte. Als er von der Highschool abging, war Dan wie alle amerikanischen Teenager ungefähr 360000-mal mit Werbung für die begehrenswerten und begehrenswert machenden Produkte konfrontiert worden, die für den amerikanischen Konsumenten zu haben waren – aber nicht für ihn. Als Kind wünschte sich Dan nichts mehr, als schnell erwachsen zu werden und Konsument zu sein, um all die Sachen zu haben. Wenn er das alles hatte, dachte er, dann würde er glücklich sein und bräuchte sich nie mehr zu erniedrigen.
    Als Dan und Michael älter wurden, erkannten sie, dass das Verhalten ihrer Mutter nicht normal war, und brachten sie zu einem Arzt. Genauer gesagt gingen sie mit ihr zu mehreren Ärzten, von denen jeder eine andere Diagnose stellte. Der
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