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Maxwell 02 - Nur du kannst sie verstehen

Maxwell 02 - Nur du kannst sie verstehen

Titel: Maxwell 02 - Nur du kannst sie verstehen
Autoren: Terry Pratchett
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auch ein Rabe. Das störte die Stille nicht wirklich. Es betonte sie eher.
    »Ziemlich ruhig hier, was?« meinte Yo-less.
    »Totenstill«, sagte Bigmac. »Hah, hah.«
    »Viele Leute kommen hierher, um spazierenzugehen«, sagte Johnny. »Ich meine, der Park ist ewig weit weg, und außerdem gibt es da nur Gras. Hier wachsen Büsche und Blumen und Bäume und, und –«
    »Umwelt«, sagte Yo-less.
    »Und wahrscheinlich auch ein paar Biotope«, sagte Johnny.
    »Hey, schaut euch mal das Grab hier an«, rief Wobbler.
    Sie guckten. Es hatte einen riesigen, hohen Bogengang aus schwarzem Marmor, um den sich massenhaft Engel wanden und eine Madonna. Unter dem Namen
Antonio Vicenti (1897–1958)
war ein verblichenes Foto hinter einem kleinen Fensterchen. Es sah aus wie ein Rolls-Royce unter den Gräbern.
    »O Mann. Ziemlich beeindruckend«, sagte Bigmac.
    »Wozu braucht man denn so einen riesigen Steinbogen?« wollte Wobbler wissen.
    »Alles Angeberei«, meinte Yo-less. »Wahrscheinlich ist auf der Rückseite ein Aufkleber, auf dem steht ›Man gönnt sich ja sonst nichts‹.«
    »Yo-less!«
sagte Johnny.
    »Ich fand das eigentlich sehr witzig«, meinte Mr. Vicenti. »Er ist ein sehr witziger Junge.«
    Johnny drehte sich ganz langsam um.
    Ein Mann in schwarzen Kleidern lehnte sich lässig an den Torbogen. Er hatte glatt nach hinten gekämmtes, schwarzes Haar, eine Nelke im Knopfloch und eine etwas gräuliche Gesichtsfarbe, als ob das Licht irgendwie falsch wäre.
    »Oh«, sagte Johnny. »Hallo.«
    »Und wohin genau bestand der Witz?« fragte Mr. Vicenti neugierig. Er stand ganz höflich da, die Hände vor der Brust verschränkt, wie ein altmodischer Verkäufer für Herrenmode.
    »Ach, wissen Sie, es gibt so einen dummen Werbespruch –«
    »Für Gräber?« wollte Dr. Vicenti wissen.
    »Ach was, für Schnaps«, sagte Johnny. »Tut mir leid«, fügte er schnell hinzu. »Man sollte keine Witze über so was machen.«
    »Früher, in der alten Heimat, habe ich Zauberkunststücke für Kinder vorgeführt«, sagte Mr. Vicenti. »Mit Tauben und solchen Sachen. An Samstagen. Auf Geburtstagsfeiern. Der große Vicenti und Ethel. Ich lache gerne.«
    »In der alten Heimat?« fragte Johnny.
    »Das Land der Lebenden.«
    Die drei Jungs beobachteten Johnny gespannt.
    »Du kannst uns nichts vormachen«, sagte Wobbler. »Da ist – da ist gar keiner.«
    »Und Entfesslungskünstler war ich auch«, erzählte Mr. Vicenti und holte gedankenverloren ein Ei aus Yo-less’ Ohr.
    »Du redest bloß mit der Luft«, sagte Yo-less.
    »Entfessungskünstler?« fragte Johnny. Da haben wir es wieder, dachte er. Die Toten wollen immer nur über sich selbst reden…
    »Was?« sagte Bigmac.
    »Ich hab mich aus Fesseln befreit.« Mr. Vicenti zerbrach das Ei. Der Geist einer Taube flog davon und löste sich in Luft auf, als er die Bäume erreichte. »Säcke und Ketten und Handschellen und so. Wie der große Houdini! Nur nicht ganz so professionell, selbstverständlich. Bei meinem besten Trick habe ich mich aus einem verschlossenen Sack unter Wasser befreit, mit sechs Metern Kette um mich herum und drei Paar Handschellen.«
    »Du meine Güte, wie oft haben Sie das denn getan?« fragte Johnny.
    »Einmal. Fast«, sagte Mr. Vicenti.
    »Hör schon auf« rief Wobbler. »Es reicht. Darauf fällt doch keiner mehr rein. Komm schon. Das ist nur Zeitverschwendung.«
    »Sei still, das interessiert mich«, sagte Johnny.
    Er nahm ein Rascheln hinter sich wahr, als ginge jemand ganz langsam durchs Laub.
    »Und du bist John Maxwell«, sagte Mr. Vicenti. »Der Stadtrat hat uns von dir erzählt.«
    »Uns?«
    Das Rascheln wurde lauter.
    Johnny drehte sich um.
    »Das ist kein Witz«, sagte Yo-less. »Schaut euch sein Gesicht an!«
    Ich darf keine Angst haben sagte sich Johnny angestrengt.
    Ich darf keine Angst haben!
    Warum sollte ich auch Angst haben? Das sind doch nur… verstorbene weiterlebende Bürger. Vor ein paar Jahren haben die noch ihre Rasen gemäht und Weihnachtsbäume geschmückt und Enkelkinder gehütet und so. Vor denen muß man keine Angst haben.
    Die Sonne stand tief hinter den Pappeln. Über dem Boden schwebte ein wenig Nebel.
    Und durch die Schwaden hindurch kamen ganz langsam die Toten auf ihn zu.

Kapitel drei
    D er Stadtrat war da und William Stickers und eine alte Frau, die ein langes Kleid und einen Hut voller Früchte trug; einige kleine Kinder rannten voraus, und dahinter kamen noch Dutzende,
Hunderte.
Sie schlurften nicht. Sie sahen nicht grünlich-bleich aus,
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