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Max Perplex

Max Perplex

Titel: Max Perplex
Autoren: Hen Hermanns
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Stunde mit dem Studium des Ziegler-Falls im Archiv. Ich erfuhr nicht mehr als das, was Ziegler mir bereits erzählt hatte. Ich wurde ein bißchen nervös. Innere Sammlung war angesagt, Zentrierung gefordert. Es war kurz vor zwölf, als ich das Taoistische Meditationszentrum in der Friesenstraße betrat. Hier gibt es weder Gut noch Böse, hier wird niemand bewertet, hier beharrt niemand auf seinen Vorstellungen, wie die Welt zu sein hätte. Und solange man nicht abwinkt, kriegt man hier immer wieder ein frisches Kölsch vor die Nase gesetzt. Im >Päffgen< finde ich stets meine Mitte. Und nach dem dritten Glas war mir diesmal sogar ein Erlebnis vergönnt, das einer Zen-Erleuchtung nahe kam. Im Pissoir führte ein Vater seinen kleinen Sohn offensichtlich erstmals in die Benutzung dieser Stätte ein. »Ist praktisch wie zu Hause«, redete er beruhigend auf den knapp 120 Zentimeter kurzen Nachwuchs herunter, brauste dann aber jäh auf: »Näh-näh, nitt so, mach datt doch richtich, watt ich dir sage, nimm datt Ding doch richtich raus, ey.« Der zornige Tonfall schien zunächst Wirkung zu zeigen, nunmehr besänftigt, lobte der stolze Vater: »So is jut, schön machste datt.«
    Doch zu früh gefreut, noch schien der Kleine nicht alles im Griff zu haben und provozierte den Vater zu einem neuerlichen Zornausbruch. »Näh-näh«, brüllte er, »so doch nitt! Jetzt halt doch fest die Krokette!«
    Strahlend verließ ich die Herrentoilette und ließ mich beseligt hinter einem Kölsch nieder. Jetzt stellte der Ober auch noch den georderten Linseneintopf vor mich hin. Das Glück liegt in den einfachen Dingen. Ich löffelte den Eintopf begeistert in mich hinein und kühlte die aufsteigende Wärme mit regelmäßigen Kölsch-Schlückchen ab. Ruhig dachte ich darüber nach, auf was ich mich da eigentlich einließ. Alwine konnte ziemlich down-to-earth sein, und wo sie recht hatte, hatte sie recht. Ich ließ mich auf ein Spiel ein, dessen Regeln ich allenfalls aus Büchern und Filmen kannte. Bücher und Filme, deren Autoren und Regisseure die Regeln wiederum aus anderen Büchern und Filmen hatten. Mir standen praktisch nur die Erkenntnisse aus einer Art Phantasie-Recycling zur Verfügung. Ich mußte es wohl mit der »Learning-by-doing-Methode« versuchen. »Don’t try, just do it«, sagen die Taoisten in solchen Fällen in befremdlicher Übereinstimmung mit der amerikanischen Denkungsart.

    Am Friesenplatz schnappte ich mir ein Taxi und ließ mich zu Ziegler bringen. Zieglers Haus sah aus, als wäre es mal ein Ferienhäuschen für Nazigrößen gewesen. Grau, wuchtig, mit dicken Säulen und einer theatralischen Eingangstreppe, auf der ich mir gut einen tanzenden, mit Kokain vollgedröhnten Göring vorstellen konnte. Aber oben an der Tür stand nur ein stiller, hagerer Mensch. Ziegler trug alte Stiefel, eine verbeulte Cordhose von unbestimmter Farbe, einen grauen Pullover und darüber eine Tweedjacke. Ich trug meine alten Timberlandboots, eine graue Jeans, die mal schwarz gewesen war, einen ausgeleierten grauen Pullover und eine alte, schwarze Lederjacke. Wir sahen aus, als wollten wir zur Entenjagd gehen. Entsprechende Gewehre standen in der Eingangshalle herum. Ich kannte mich da nicht so genau aus, aber sie schienen nicht nur für Geflügel, sondern zum Teil auch für Elefanten geeignet zu sein. Zwei waren mit Zielfernrohren ausgerüstet. Ich sah das alles so genau, weil es sonst nicht viel zu sehen gab.
    Ziegler führte mich in einen Raum, der wohl so eine Art Salon sein sollte. Parkettboden, hohe Fenster mit Blick auf einen verwilderten Garten, und trotzdem so gemütlich wie eine Autobahnraststätte. Ziegler deutete auf zwei Sessel, die einzigen Möbelstücke in diesem Raum, wenn man mal von den zehn Umzugskartons absah, die in einer Ecke standen.
    »Schön asketisch haben Sie es hier«, sagte ich.
    Vielleicht war Ziegler so locker auf meine Honorarforderung eingegangen, weil er das Geld gar nicht hatte. Er sah mich ausdruckslos an.
    »Die Gewehre da draußen«, setzte ich zu einem neuen kleinen Konversationsversuch an, »sammeln Sie so was, oder fühlen Sie sich bedroht?«
    »Meine ehemaligen Vorstandskollegen und ich pflegten zur Jagd zu gehen. Sie kennen das. Kleine Erinnerung an alte Zeiten. Haben Sie keine Waffe?«
    »Ich mag so was nicht. Und bisher bin ich immer ganz gut mit meiner scharfen Zunge ausgekommen. Lassen Sie mich raten, Herr Ziegler. Ihre Frau hat alle Möbel mitgenommen?«
    »Ich habe sie ihr mitgegeben. Ich will
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