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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball
Autoren: Arnold Kuesters
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meinte er, schemenhaft einen immer wiederkehrenden Rhythmus zu erkennen. Es klang wie Holz auf Glas: Einmal lang, dreimal kurz, einmal lang. Dumpf und doch mit einem leicht klirrenden Unterton. Aber er konnte sich auch irren. Jedenfalls konnte er keinen Sinn erkennen. Er wollte sich gerade wieder in das schwerelose Dahindösen fallen lassen, stattdessen aber schreckte Wilhelm Feldges endgültig auf. Er musste tief und fest geschlafen haben. Ein Traum, dachte er. Ein dummer Traum. Er setzte sich in seinem Sessel auf und rieb sich müde die Augen. Dabei fiel scheppernd die Fernbedienung zu Boden, die auf seinem Bauch gelegen haben musste.
    Auf dem Fernsehbildschirm fuhr eine Dampflok durch eine tief verschneite Winterlandschaft, aus den unterschiedlichsten Kameraperspektiven aufgenommen. Feldges verstand nicht, was er sah, und fingerte schlaftrunken nach seiner Brille und der Fernsehzeitung. Es musste schon tiefe Nacht, fast Morgen sein, denn laut Programmübersicht lief seit kurz vor fünf Uhr ein Beitrag über die schönsten Bahnstrecken Europas. Offenbar war der Zug in seinem Fernseher zwischen St. Moritz und Tirano unterwegs.
    So sehr er sich mühte, Wilhelm Feldges wurde nicht richtig wach. Er musste schlecht geträumt haben, denn die merkwürdigen Klopfgeräusche, die er gehört zu haben meinte, hatten ein dunkles und beklemmendes Gefühl in seinem Inneren hinterlassen. Er fühlte sich schwach. Ach was, sagte er sich, das ist das Alter. Alte Menschen haben oft schlechte Träume, hatte er einmal gelesen. Seine Augen suchten im Widerschein des Fernsehers die Konturen des dunklen Wohnzimmers ab, aber in der wechselnden Helligkeit der Fernsehbilder war nichts Auffälliges zu sehen. Alles stand an seinem Platz und alles hatte seine Ordnung. Bis er das Medikamentenschälchen sah. Er hatte vergessen, seine Tabletten einzunehmen. Das war schlecht. Er musste unter allen Umständen den verordneten Rhythmus einhalten, hatte der Arzt gesagt. Sonst würde er wieder Probleme bekommen. Zu Anfang hatte er die Anweisungen seines Hausarztes nicht sonderlich ernst genommen. Als aber die Beschwerden nicht besser wurden, hatte er sich schließlich doch von seiner Tochter überzeugen lassen.
    Er wollte gerade aufstehen, als er das merkwürdige Klopfen wieder hörte. Einmal lang, dreimal kurz, einmal lang. Sein Herz begann sofort wie wild zu klopfen. Hatte er es sich also doch nicht eingebildet! Nicht aufregen, dachte Feldges und fasste sich ans Herz. Wird wohl irgendwo im Haus ein Fenster nicht fest geschlossen sein. Das war in diesem Winter schon öfter vorgekommen. Er vergaß eben in letzter Zeit zu viel. Seine Tochter würde ihm von nun an einen Zettel schreiben, woran er abends denken musste: Alle Fenster zu, Medikamente nehmen, Hof abschließen, Licht löschen.
    Da war es wieder: Einmal lang, dreimal kurz, einmal lang. Etwas lauter als das erste Mal. Das konnte kein Fenster sein, dachte Feldges, und sank in seinen Sessel zurück. Wilhelm Feldges war wie gelähmt. Er konnte sich das schon fast drohend klingende Klopfen nicht erklären, noch konnten seine Sinne die Quelle des gespenstischen Geräuschs orten. Das war kein Zufall, kein Kratzen von Astwerk an einer Mauer oder ein Käuzchen im Baum, das Klopfen war hier. Direkt in seiner Nähe. Eine Katze, vielleicht? Einmal lang, dreimal kurz, einmal lang. Er rang um Atem. Er krallte unbewusst seine Finger in den abgewetzten Stoff der Sessellehnen. Feldges starrte auf den Bildschirm. Dort fuhr der Zug ungerührt seine vorbestimmte Strecke entlang. Wilhelm Feldges traute sich nicht, den Blick zu wenden. Die stoische Gleichmäßigkeit, mit der der dampfbetriebene Zug seine Geschwindigkeit hielt und über die Schienen glitt, gab ihm ein schwaches Gefühl von Sicherheit. Solange der Zug fuhr, konnte ihm nichts geschehen.
    Einmal lang, dreimal kurz, einmal lang. Wilhelm Feldges traute sich kaum zu atmen. Angst, vor allem dieses unbegreifliche Gefühl von Panik und Flucht, hatte er schon lange nicht mehr gespürt. Darüber vergaß er sogar seine Schmerzen im Rücken. Es war jetzt nicht mehr zu verleugnen: Das Geräusch war deutlich zu hören und schien sogar immer näher zu kommen. War jemand im Zimmer, hinter ihm? Er hielt für einen Augenblick den Atem an und horchte auf ein verräterisches Knarren der trockenen Wohnzimmerdielen. Der Gedanke an ein Wesen in seinem Rücken ließ ihm sich seine Nackenhaare aufstellen. Er war sich sicher: Gleich würde er den heißen Atem spüren. Kalter
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