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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball
Autoren: Arnold Kuesters
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warten.«
    * * *
    Viola Kaumanns hatte Kopfschmerzen. Krüger hielt ihr immer noch die Pistole an die Schläfe. Sie musste den Kopf schief halten, um den Druck ein bisschen zu mildern. Krüger hatte die vergangenen Minuten nicht gesprochen. Auch sie hatte geschwiegen. Aber Krüger war auf der Hut. Immer wenn sie versuchte, ein wenig von ihm wegzurutschen, drückte er die Pistole fester gegen ihren Kopf.
    Die Polizeibeamtin fror. Der Operationssaal war ungeheizt, und die Kälte der Bodenfliesen war längst durch den Stoff ihrer Jeans gezogen. Sie musste dringend zur Toilette. Der Druck ihrer Blase nahm von Minute zu Minute zu. Ihr war schlecht. Sie konnte nur mit Mühe den Impuls unterdrücken, einfach aufzustehen.
    »Sie sind so still, mein Kind. Denken Sie über Ihr Leben nach? Das ist gut. Das hilft, Abschied zu nehmen.« Krügers Stimme war wie immer freundlich und zuvorkommend.
    »Lassen Sie mich doch einfach gehen.« Viola Kaumanns klang müde und erschöpft.
    »Nein. Sie bleiben hier. Wir können nicht einfach unserem vorbestimmten Schicksal ausweichen. Niemand kann das. Auch Friedrich Flusen konnte das nicht. Selbst Lehnert hat sein Schicksal ereilt. Wussten Sie, dass er kurz vor Kriegsende von einer Miene zerfetzt wurde? Gar nicht weit von hier. Damals war hier in der Gegend ein großes Munitionsdepot. Das ist doch ein merkwürdiger Zufall, nicht? Lehnert kommt hier zu Tode, und wir sitzen in diesem Raum und können uns noch ein bisschen unterhalten. Das Schicksal geht manchmal wahrlich seltsame Pfade.«
    »Hören Sie auf, Krüger, Ihr Geschwafel langweilt mich. Machen Sie endlich Schluss, oder lassen Sie mich gehen.« Sie versuchte, ihrer Stimme Kraft und Gelassenheit zu verleihen.
    »Warum haben Sie es auf einmal so eilig, Kindchen? Oder ist es das Ungestüme der Jugend, das Sie auf eine schnelle Reaktion drängen lässt?« Heinrich Krüger lachte leise wie über einen guten Witz.
    »Hören Sie endlich auf damit, Krüger. Sie machen mir keine Angst mehr. Jetzt nicht mehr. Kommen Sie, geben Sie doch endlich auf. Ich habe keine Zeit mehr. Und ich habe keine Angst mehr vor ihrer Pistole.« Viola Kaumanns wunderte sich über sich selbst. Sie klang cool, dabei zitterte sie innerlich vor Angst und Anspannung.
    »Sie haben ganz recht. Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen handeln. Das Leiden hat ein Ende.«
    Viola Kaumanns kniff instinktiv die Augen zusammen. Sie wollte das Mündungsfeuer nicht sehen. Sie begann, still zu beten. Sie war nie sonderlich religiös gewesen, deshalb fiel ihr nur ein Kindergebet ein: Lieber Gott, ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als du allein. Sie sah wieder den Bauern. Er lachte zu ihr herüber und winkte freundlich. Warum muss ich immer an diesen Mann denken – das war der letzte Gedanke, den Viola Kaumanns wahrnahm.
    »Mein Gott, wie lange soll das noch dauern?« Nun wurde auch Frank ungeduldig. Das SEK brauchte ungewöhnlich lange, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Frank ging die wenigen Schritte zum Durchgang zwischen dem Verwaltungstrakt und dem Haupthaus. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Immer noch war niemand auf den Wegen oder der Rasenfläche vor der Klinik zu sehen. Das bedeutete, dass die Patienten und das Personal noch im Haus waren. Zusammen mit Krüger und Viola Kaumanns. Die Patienten, die Ärzte und das Pflegepersonal saßen in der Falle. Ohne Hausmanns Überlegungen im Einzelnen zu kennen, war Frank klar: Solange Krüger nicht ausfindig gemacht werden konnte, war an eine Evakuierung der Klinik nicht zu denken. Frank drehte sich zu Schrievers und Ecki um und zuckte mit den Schultern.
    Frank wollte so lange nichts unternehmen, bis Jürgen Hausmann grünes Licht für ihre Aktion gab. Ungeduldig wartete er auf die Anweisung zum Handeln. Aber die Minuten dehnten sich elend lange. Mein Gott, dachte Frank, lass uns das Richtige tun. Er hatte kein Mitleid mit Krüger. Krüger hatte drei Menschen auf dem Gewissen. Er hatte Angst um Viola Kaumanns. Sie galt es zu befreien, unter allen Umständen. Sie musste weiterleben können. Dafür wollte er alles tun.
    Er musste an Lisa denken. Und er musste an die Gespräche mit Krüger denken, in Lisas Wohnung, beim Essen, oder beim Kaffee. Sie hatten zusammen gelacht, sie hatten über England gesprochen, hatten Krügers Begegnungen mit den Schülern analysiert. Frank hatte Lisas helles Lachen im Ohr und erinnerte sich an ihre freundlichen, fast zärtlichen Blicke, die sie Heinrich Krüger geschenkt
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