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Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball
Autoren: Arnold Kuesters
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Kragen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war kein Richter. Sie wusste, jede weitere Anklage konnte in diesem Augenblick tödlich sein. Sie durfte ihren Peiniger nicht länger reizen. Wenn doch nur schon Frank und Ecki da wären! Sie mussten sie hier herausholen. Dieser Raum, dieser verdammte Operationssaal! Was wollte Krüger hier mit ihr? Wie sah der Raum aus? Standen Schränke an den Wänden, standen vielleicht ein Tisch und Stühle im Weg? Wo lag das Operationsbesteck? War alles für eine OP vorbereitet? Oder war der Raum seit Jahren nicht mehr benutzt worden? Musste Krüger nicht einfach seine Hand ausstrecken, um an ein scharfes Skalpell zu kommen? Viola Kaumanns wollte schreien, aber ihr Mund war trocken. Ruhe bewahren, dachte sie angestrengt. Es gibt immer eine Lösung, ich muss sie nur finden.
    Wenn sie doch nur besser sehen könnte! Stattdessen hockte sie hilflos und wie gelähmt auf diesem kalten Fliesenboden und hatte vielleicht nur noch ein paar Minuten zu leben. Sie horchte in den Raum. Krüger war still. Auch sein Atmen hörte sie nicht mehr. Stattdessen drückte die Pistole ihren Kopf beiseite. Viola Kaumanns hielt den Atem an. Drück doch endlich ab, du Schwein. Sie schloss die Augen und wartete auf ihr Ende. Sie ballte ihre Fäuste, bis sich ihre Fingernägel schmerzhaft in das Fleisch ihrer Handflächen gruben. Schieß doch endlich!
    Sie musste an einen Tag im Sommer denken, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie war hinter das Haus gelaufen und hatte sich auf die Mauer zum Feldweg gesetzt. Sie hatte sich über ihre Mutter geärgert, weil sie nicht ihr schönes Blümchenkleid hatte anziehen dürfen. Sie war dann aus dem Zimmer gelaufen und hatte die Türen hinter sich zugeknallt. Dann hatte sie sich auf die niedrige Mauer gesetzt und ihre nackten Beine baumeln lassen. Sie hatte dem Bauern auf dem Feld gegenüber bei der Arbeit zugesehen. Es war ein heißer Tag gewesen, daran konnte sie sich gut erinnern.
    Warum sie ausgerechnet jetzt daran denken musste, wusste sie nicht. Es war auf jeden Fall sehr heiß gewesen. Und der Bauer hatte viele Pausen machen müssen. Er war alleine auf dem Feld gewesen. Er hatte eine Sense in der Hand gehabt. Er hatte gesenst und gesenst, dann hatte er die Sense abgelegt und sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn gewischt. Ab und an hatte er ihr zugewunken. Aber sie hatte nur da gesessen und ihm stumm zugesehen.
    Irgendwann hatte sie ihn schreien gehört. Seine Sense hatte er fallen gelassen. Sie konnte sehen, dass er winkte. Aber sie hatte sich nicht gerührt. Sie hatte wie gebannt zugesehen, wie sein Winken erst immer heftiger und dann immer schwächer geworden war. Dann hatte sie gesehen, wie ihre Mutter aus dem Haus gerannt und auf das Feld gelaufen war. Am Abend hatte sie dann gehört, dass der Bauer über und über mit Blut bespritzt gewesen war. Er hatte sich beim Sensen eine Arterie verletzt. Er war damals fast verblutet. Viola Kaumanns hatte das alles nicht verstanden. Sie hatte nur interessiert zugesehen.
    Warum schoss Krüger nicht endlich? Sie konnte ihn in der Dunkelheit spüren.
    »Krüger?«
    Keine Antwort.
    Viola Kaumanns fingerte vorsichtig Zentimeter um Zentimeter nach ihrem Handy, das sie in der Innentasche ihrer Jacke trug. Dabei versuchte sie, möglichst ihre Position nicht zu verändern. Krüger durfte ihre Bewegungen nicht bemerken. Sie unterdrückte ein Keuchen.
    »Halten Sie Ihre Finger ruhig. Sie werden nichts erreichen. Strengen Sie sich nicht unnötig an, mein Kind. Ich darf Sie doch ›mein Kind‹ nennen, oder?« Krüger musste Röntgenaugen haben. Obwohl sie schon eine ganze Zeit in diesem Raum hockten, konnte Viola Kaumanns immer noch nicht die Hand vor Augen sehen.
    * * *
    Keine hundert Meter weiter lehnten Ecki und Frank an der Wand neben dem breiten Hintereingang zum Hauptgebäude. Die Kollegen vom SEK hatten ihre Positionen bezogen und die Zu- und Ausgänge abgesichert. Noch hatte sich niemand in das Innere der Klinik getraut. Der Einsatzleiter des SEK saß zusammen mit zwei Kollegen in ihrer mobilen Kommandozentrale und war offenbar immer noch damit beschäftigt, den Status der einzelnen Stationen zu bewerten. Nach einer ersten Abschätzung, die Frank über Funk hatte mithören können, waren Krüger und Viola nicht auf den oberen Etagen gesehen worden. Wenn sie noch in dem Gebäude waren, mussten sie sich irgendwo im Erdgeschoss oder im Keller aufhalten.
    »Verdammt, wann geht es endlich weiter?« Frank sah
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