Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maskenball

Maskenball

Titel: Maskenball
Autoren: Arnold Kuesters
Vom Netzwerk:
mich offensichtlich nicht verstanden, Liebchen. Ich brauche keine Chance. Die Aussicht auf ein mildes Urteil macht mir keinen Mut. Ich habe das Ende meines Wegs erreicht. So oder so. Hier ist Endstation. Hier in dieser Dunkelheit. Und Sie werden mich auf meiner Reise begleiten. Begleiten wie ein braves Mädchen. Ja, begleiten.«
    Krügers Stimme klang leise und ganz nah an ihrem Ohr. Schauer liefen ihr über den Rücken. Ihr war kalt. Sie spürte seinen Atem. Er roch alt und verbraucht. Sie wand sich unter seiner fühlbaren Nähe, aber sie vermochte keinen Zentimeter auszuweichen. Der harte Pistolenlauf schmerzte an ihrer Schläfe.
    »Bitte, Herr Krüger, lassen Sie mich gehen. Bitte. Meine Eltern …« Viola Kaumanns stockte. Was sollte sie ihm von ihren Eltern erzählen?
    »Ihre Eltern, Ihre Eltern? Was gehen mich Ihre Eltern an? Das Los und die Bestimmung von Eltern ist es, unter bestimmten Umständen um ihr Kind trauern zu müssen. Das ist ihre Aufgabe und ihr Schicksal. Wissen Sie, wie die Eltern von Friedrich gelitten haben? Können Sie sich vorstellen, was Lehnert ihnen angetan hat? Sie hatten keine Wahl, ihnen blieb nur die Trauer.«
    Dieser Mann gehörte in die Psychiatrie, dachte Viola Kaumanns. Er war eine tickende Zeitbombe. »Was war mit Flusen? Warum haben Sie die anderen umgebracht?«
    Krüger antwortete nicht auf ihre Frage. »Wissen Sie, ich habe schon alles vorbereitet. Sogar die Inschrift auf meinem Grabstein habe ich schon bestimmt. Es ist ein gutes Gefühl, sein Feld bestellt zurückzulassen. Wollen Sie den Spruch hören? Er würde auch zu Ihren Eltern passen. So wie er zu den Eltern von Friedrich Flusen gepasst hat.« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »›Wenn etwas uns fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selbst mit fortgenommen.‹ So lautet der Text. Wissen Sie, wer ihn geschrieben hat? Vermutlich nicht. Ich sage es Ihnen, Rainer Maria Rilke. Ja, genau dieser Dichter, der auch das Herbstgedicht geschrieben hat. Ein großartiger Lyriker, finden Sie nicht auch? Diese elementare Sicht auf die wichtigen Dinge im Leben. Einfach, aber tief gehend, bis ins Herz. Der rechte Dichter für den Abschied. Das hat sicher auch Friedrich gedacht.«
    Viola Kaumanns hörte, wie Krüger bei dem Gedanken an seinen Jugendfreund schlucken musste. Er klang, als habe er Tränen in den Augen. Der richtige Augenblick für einen Überraschungsangriff, dachte sie. Aber sie konnte sich nicht bewegen. Um sie herum blieb alles still. Wo Borsch und Ecki wohl waren? Vielleichtschon auf dem Gelände? Hatten sie schon das SEK eingewiesen, oder wurde sie noch gar nicht vermisst?
    Sie kam fast um vor Angst. Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Sie musste jetzt handeln, aber der kühle Stahl an ihrem Kopf ließ sie erstarren. Ihre Beine waren ihr längst weggerutscht. Sie hätte nicht aufstehen können. Sie fühlte ihre Muskeln nicht mehr. Sie überkam eine bleierne Müdigkeit, die sie sich nicht erklären konnte. Sie war wie gelähmt.
    »Sie haben drei Menschen auf dem Gewissen. Kaltblütig umgebracht. Grausam verstümmelt. Sie sind ein Mörder. Ein brutaler Killer.« Viola Kaumanns hatte kaum noch die Kraft, weiterzusprechen. Sie spürte, dass der Druck gegen ihre Schläfe größer wurde. Na, wenn schon? Sollte er doch abdrücken. Sie würde sich nicht die Blöße geben, vor ihm Angst zu zeigen. Diese Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen. Lieber wollte sie stumm sterben.
    »Schluss jetzt, was wissen Sie schon? Sie sind jung und unerfahren. Sie haben keine Ahnung vom Krieg und seinen eigenen blutigen Gesetzen. Ich habe nur meine Schuld abgearbeitet. Das war ich Friedrich schuldig. Und all den anderen, die so leiden mussten wie er. Ich habe sein Vermächtnis erfüllt. Seine Anklage im Augenblick des Todes zu meinem Lebenszweck gemacht. Die Blätter sind gefallen. Friedrich soll nicht umsonst gestorben sein. Ich habe die Gerechtigkeit zurückgebracht in diese Welt.« Krügers Stimme klang fest und überzeugt. »Was erzähle ich Ihnen das alles, mein Kind. Sie wissen nichts.«
    »Nein, Sie haben keine Gerechtigkeit in die Welt gebracht. Sie suchen nur nach einer Ausrede für Ihre Mordlust. Sie haben aus Mordlust getötet, so wie Lehnert getötet hat – aus Gier nach der Lust an der völligen Zerstörung. Der Krieg hat Ihnen beiden dabei nur als willkommene Maske für ihr grausames Handwerk gedient.«
    Viola Kaumanns hielt den Atem an. Ich rede mich noch um Kopf und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher