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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige
Autoren: Robert Misik
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Krise, Kollaps und Katastrophe gehören zum Kapitalismus wie das Amen zum Gebet, gleichzeitig ist er schier nicht totzukriegen. Über lange Phasen segelt dieses Wirtschaftssystem, als wäre es auf Autopilot gestellt, durch die Zeit und die ihm immanenten Krisen und kann selbst noch darauf zählen, daß sich |20| die meisten der Ausgeschlossenen mit ihrer Lage abfinden, ja sogar in stillem Konsens diesem System zugetan sind und auf nichts mehr hoffen, als zum kapitalistischen Orbit Zugang zu erlangen?
    Es sind diese Fragen, auf die uns der »lebendige« Marx immer noch die besten Antworten gibt – wenngleich natürlich nach Marx auch andere Jahrhundertdenker diese Fragen weitergesponnen haben, ohne deren Beiträge jeder Versuch, unsere Zeit in Worte zu fassen, sinnlos wäre. Zu denken ist dabei etwa an Max Webers Studien über die moderne Gesellschaft, an Sigmund Freuds Entdeckungen der Funktionsweise der menschlichen Psyche und an John Maynard Keynes Revolutionierung der Wirtschaftswissenschaften – um nur drei zu nennen.
    Ohne Zweifel ist Marx eine außerordentliche, seltsame Gestalt. Kaum erwachsen, aber groß geworden in den Begriffen der Hegelschen Philosophie, hatte er sich im wesentlichen innerhalb von nur fünf Jahren – zwischen 1843 und 1848 – aus der bisherigen geistesgeschichtlichen Welt herausgearbeitet und die Basis seines neuen Denksystems gelegt. Damals stand Marx gerade in der zweiten Hälfte seiner Zwanziger. »Kein Denker des neunzehnten Jahrhunderts hat so unmittelbar … und machtvoll auf die Menschen gewirkt wie Karl Marx«, schrieb der liberale britische Philosoph Isaiah Berlin in seiner noch immer lesenswerten Marx-Studie. 8 Und dies, obwohl er den Großteil seiner Lebenszeit weitgehend zurückgezogen in London, zwischen Manuskripten, Aktenstapel und Büchern im British Museum verbracht hat. Unter den Revolutionären seiner Zeit war er eine merkwürdig einsame Figur. Er hat jeden großen Weltverbesserergestus, der sich nur |21| von ethischen Idealen leiten ließ, jede romantische Utopistik – wie sie die sozialistischen und radikal-demokratischen Strömungen seiner Zeit prägte – böse verspottet. Zwar war auch Marx bewegt von einem starken moralischen Pathos. Aber für ihn war jeder Aktivismus, der sich nur auf den gefühlsgeleiteten Wunsch nach einer besseren Gesellschaft stützen konnte, reine Donquichotterie und kleinbürgerliche Schwärmerei. Er wollte die Wirklichkeit ernst nehmen, sich nicht gegen sie stemmen. So entwickelte er eine Methode sozialer Analysen, gewissermaßen mit kühlem Kopf und scharfem Blick, die heute noch unübertroffen sind und Verständlichkeit, Wirklichkeitssinn und Detailarbeit mit einer klaren moralischen Position und Gerechtigkeitssinn verbinden.
    Jede Zeit setzt sich mit einem lange verstorbenen Autor auseinander, indem sie sich mit ihren eigenen Problemen auseinandersetzt. Die Philosophie
überwindet
eine ältere Philosophie, weil die Problemlagen überwunden sind, die diese Philosophie sich gestellt hat. Und jede Zeit liest Marx auch mit anderen, mit ihren eigenen Augen. Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder mit Marx beschäftigt, seine Bücher zeitweise beiseite gelegt, sie aber auch immer wieder aufs neue zur Hand genommen – und immer etwas anderes entdeckt. Auch das ist ein Hinweis auf die Lebendigkeit, auf den Facettenreichtum seines Werkes. Vor allem aber auf eines: Noch ist Marx nicht
überwindbar
. Ganz egal, ob einem das gefällt oder nicht: Die Verhältnisse, sie sind nicht danach.
    Solange das so ist, wird Marx immer wieder aufs neue neu entdeckt werden.

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    |22| Frankenstein Oder: Der entfremdete Mensch
    Vom »frühen Marx« zur »Abrechnung« mit der Philosophie
    Daß etwas faul ist in unserer Welt, wurde pünktlich zum jüngsten Millenniumswechsel fast wieder zum Gemeingut zwischen Berlin und Neu-Delhi, Davos und Porto Alegre, New York und Wien. Globalisierung und Informationszeitalter, die neuen technologisch-industriell-organisatorischen Revolutionen steigerten die Reichtümer und ebenso die allgemeine Wohlfahrt – wenngleich auch den Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern im globalen kapitalistischen Casino –, doch mit der Ausbreitung der Warenwelt über alle bisher gekannten Grenzen hinaus wuchs die schlechte Stimmung. Und zwar nicht nur unter jenen, die aus den Palästen des Kommerzes ausgeschlossen sind, sondern auch unter der westlichen Mittelstandsjugend, unter Aufsteigern, unter den Heroen
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