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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder
Autoren: Anna Geller
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schleierhaft.
    Jetzt angelte er aus einem der Körbchen ein Rundschreiben des Landeskriminalamtes und vertiefte sich darin. Wahrscheinlich eine dieser wunderbaren Statistiken, die kein Mensch verstand oder im Gedächtnis behielt — außer Hellwein. Er konnte die Kölner Kriminalitätsstatistiken der letzten zehn Jahre herunterbeten, wenn es sein musste.
    „Heinz?“
    „Hm?“
    „Ist dir eigentlich klar, dass wir immer nur hinterherhinken, hier in diesem Dezernat?“
    Hellwein hob irritiert den Kopf und schob die Ärmel seines Strickpullovers hoch. Darunter kamen die Manschetten eines schneeweißen Hemdes hervor. „Wie meinst du das?“
    „Na ja, sieh mal: Die vom Raub machen Aufklärungskampagnen bei älteren Leuten; zeigen hohe Präsenz auf den Weihnachtsmärkten, wenn die Taschendiebe unterwegs sind. Die vom Verkehr machen Plakataktionen und Alkoholkontrollen. Wir haben sogar eine eigenes Dezernat `Vorbeugung und Aufklärung´, das der Bevölkerung Tipps gibt, wie man sich vor Verbrechen schützt. Die …“
    „Du meinst, für Mord und Totschlag gibt es keine Präventivmaßnahmen?“, unterbrach Hellwein seine Vorgesetzte, die nervös die Bügel der Lesebrille auf-und wieder zuklappte.
    „So ungefähr, ja. Wir können immer nur reagieren, aber nicht aktiv vorbeugen.“
    „Und?“
    Er zupfte an den Manschetten herum und lehnte sich zurück, immer noch irritiert. Philosophieren passte so überhaupt nicht zu ihr. Härte und eine gute Portion Sarkasmus, Humorlosigkeit, das war er gewohnt. Aber nicht die Zweifel, die da hinter ihren Worten steckten.
    „Ich denke nur, wir Todesermittler kommen erst zum Zug, wenn es zu spät ist“, überlegte Susanne weiter.
    „Okay, wir lassen uns zum Raub versetzen und schleppen schwerhörige Omas auf die Sparkasse, damit sie ihr Geld da einzahlen statt es unter der Matratze zu horten“, schlug Hellwein grinsend vor.
    „Arschloch!“, zischte sie. Ihr war aufgegangen, wie viel sie gerade von sich preisgegeben hatte. Und sie gab höchst ungern etwas von sich preis, vor allem nicht Hellwein gegenüber. Der einzige Mensch auf der Welt, der sich halbwegs in ihrem Innenleben auskannte, war Chris. Seit ein paar Monaten konnte man vielleicht noch Karin dazuzählen, das war´s dann aber auch schon.
    Anfang der Woche waren die beiden nach Frankreich gefahren, fiel ihr ein. „Ein paar Tage Loire“, hatte Chris gesagt. Die letzten Monate war er verdammt still gewesen, hatte seine Nase nicht mehr in Dinge gesteckt, die ihn nichts angingen. Ob die Sache im Mai ihm so zugesetzt hatte, oder ob Karin so positiv - beruhigend auf ihn wirkte, konnte Susanne nicht beurteilen. Widerstrebend gestand sie sich jetzt ein, dass sie etwas vermisste. Sicher, sie war manchmal über seine Alleingänge empört gewesen, und die halbseidenen Quellen, aus denen er seine Informationen bezog, betrachtete sie mit Argwohn, genauso oft bewunderte sie aber auch die ungewöhnlichen Denkansätze und den blitzgescheiten Kopf ihres Freundes.
    Hellwein grinste immer noch und streckte die Hände über den Kopf. Eine Bewegung, die er sogleich bereute. Seit dem Training gestern zwickte es ihn gehörig im Kreuz. Es war bei der letzten Kugel gewesen, der kleinen roten, die besonders ruhig lief, als es in seinem Rücken gekracht hatte. Natürlich verunglückte der Wurf und der Trainer raunzte ihn auch noch an.
    Vielleicht wurde er langsam zu alt fürs Sportkegeln, überlegte er jetzt und nahm die Hände vorsichtig wieder runter.
    „Zu viele Kegel geschoben?“, fragte Susanne, der sein schmerzverzerrtes Gesicht nicht entgangen war.
    „Holz machen, heißt das, Susanne. Holz machen!“, erklärte er genervt. Es wurmte ihn, dass niemand seinen Sport richtig ernst nahm und somit natürlich auch die Fachausdrücke nicht kannte. Die meisten hielten ihn für das Mitglied einer Thekenmannschaft und konnten mit dem Wort „Leistungskegeln“ nichts anfangen. Er zog einen beleidigten Flunsch und wollte wieder einmal einen Erklärungsversuch starten. „Weißt du …“, setzte er an.
    Aber Susanne sollte nie erfahren, was er ihr klarmachen wollte, weil es in diesem Augenblick klopfte und Kriminalrat Steffens in ihr kleines Büro trat. Seine dunkelbraunen Hosen waren etwas zu kurz und über dem kugeligen Bauch spannte ein elfenbeinfarbener Pullover.
    „Die vom K 12 haben ein vermisstes Kind“, begann er ohne Umschweife. „Offensichtlich eine ernste Sache, keine übervorsichtigen oder hysterischen Eltern. Wir brauchen jetzt
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