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Manöver im Herbst

Manöver im Herbst

Titel: Manöver im Herbst
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Attacke ritten. Auf dem rechten Flügel gingen die ›roten‹ Truppen fluchtartig zurück. General v. Scholl verließ eilig sein Scherenfernrohr und eilte auf Kaiser Wilhelm II. zu.
    Der Kaiser sah ruhig auf den Flecken, den der kleine Fähnrich Schütze durch einen einzigen Gedanken in das große Manövergemälde gemalt hatte. Einen Flecken, den noch niemand bemerkte, weil er im Gesamtbild unbedeutend war, der aber peinlich werden würde, wenn der linke Flügel in völlige Verwirrung geraten sollte.
    »Majestät, ich werde sofort den Schuldigen feststellen und zur Rechenschaft ziehen lassen«, sagte General v. Scholl mit empört zitternder Stimme. »Ich versichere Eurer Majestät, daß dieser Vorfall –«
    Kaiser Wilhelm II. winkte ab. Er sah noch einmal auf die steckengebliebenen Angriffswellen der Gardegrenadiere und schwenkte die Okulare des Scherenfernrohres hinüber zum siegreichen rechten Flügel.
    Seine Stimme war ruhig, klar und hell wie immer, nur in seinen kleinen Augen lagen Bosheit und beleidigender Stolz.
    »Bitte mir den Betreffenden vorzustellen.«
    »Sofort, Majestät.«
    »Nach der Manöverkritik. Welche Truppe?«
    »Wird sofort festgestellt, Majestät.«
    »Die Kommandeure auch zu mir!« Der Kaiser wartete nicht mehr die bejahende Antwort des Generals v. Scholl ab. Er wandte sich ab, ging hinüber zu König Friedrich August von Sachsen und faßte ihn am Ärmel des Uniformmantels.
    »Lieber Vetter«, sagte er, »was halten Sie von den neuen Kruppschen Geschützen?«
    Der König von Sachsen nickte begeistert.
    »Se bumsen laut«, sagte er fröhlich.
    *
    »Das hättest du nicht tun dürfen. Bestimmt nicht. Mama ist ganz entsetzt, und Papa nennt dich einen Hohlkopf.«
    Amelia v. Perritz sagte es mit einer gedämpften, aber um so eindringlicheren Stimme. Sie saßen hinter einem hohen und dichten Haselnußstrauch, hielten sich an den Händen, als seien sie müde vom Reigentanzen und waren in einer dumpfen, fast schon verzweifelten Stimmung.
    Das Manöver ging weiter. Die ›Toten‹ hatten Ruhe, lagen im Schatten herum, spielten Skat, kochten Tee, inspizierten die Feldküchen oder lasen in Zeitungen, die von Hand zu Hand gingen.
    Jahrhundertfeiern in ganz Deutschland. Der Sieg der Koalition 1813 über Napoleon war noch immer eine preußische Glorie. In Breslau sollte die Jahrhunderthalle in Anwesenheit des Kaisers eröffnet werden. Aber Wilhelm II. hatte abgesagt. Weil ein Feststück von Gerhart Hauptmann gespielt werden sollte. »Dieser Hauptmann«, soll Majestät gesagt haben. »Und ich? Unter einem Dach? Verzichte.«
    In Österreich sprach man von einer neuen Krise mit Serbien.
    Die ersten Bilder vom Privatleben Viktoria Luises waren erschienen. Im Mai 1913 hatte sie Ernst August Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Prinz von Großbritannien und Hannover geheiratet. Sie schien glücklich zu sein. Sie lächelte auf allen Bildern.
    In Paris herrschte als neuer Präsident Poincaré. Er liebte die Deutschen nicht und vergaß ihnen 1871 nicht.
    Es waren wirklich interessante Zeitungen, zum Teil voll Sorge. Auch das laufende Manöver wurde erwähnt. »Eine Warnung an die Welt«, schrieb ein Korrespondent. »Die deutsche Wehr ist ehern.«
    »Ich habe nur mein Recht vertreten«, sagte Heinrich Emanuel Schütze und zupfte den feldgrauen Überzug seines Helmes gerade. »Ich hatte den Auftrag –«
    »Papa war entsetzt.« Über dem schmalen, fast noch kindlichen Gesicht Amelia v. Perritz' lag ein Schatten von Melancholie und Trauer. »›Wie kann man Majestät so düpieren!‹, sagte er. ›Der Fähnrich kann sich nach einem Zivilanzug umsehen.‹« Sie nahm die schlaffe Hand Schützes und legte sie in ihren Schoß. »Du solltest sie alle um Verzeihung bitten, Heinrich.«
    »Um Verzeihung bitten? Kind –, welche militärische Begriffe hast du.« Schütze setzte seinen Helm auf. Gleich darauf nahm er ihn wieder ab und legte ihn ins Gras. Er wußte kaum noch, was er tat. »Ich hatte mir alles so schön gedacht, Amelia. Nach dem Manöver sollte ich Leutnant werden … ich wäre dann zu deinem Vater gegangen und hätte gesagt –«
    Sie legte ihm die schmale Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf. »Nicht davon sprechen, Heinrich. Warum wollen wir es uns so schwermachen –«
    »Schwermachen? Was?« Er starrte sie bleich an.
    »Das –«
    »Was … das …?«
    »Papa wird dich gar nicht anhören. Mama … für die bist du Luft. Sie denkt an Hauptmann Stroy und hat ihn zu einem privaten Manöverball auf
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