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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall
Autoren: Dieter Woelm
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des Raumes verkleidete. Vorsichtig fasste ich den Vorhang an. Rechts und links war er an der Fensternische befestigt. Da war kein Durchkommen. Ich bückte mich und versuchte, unter dem Vorhang durchzuschlüpfen. Im selben Augenblick bemerkte ich, dass der Vorhang in der Mitte zweigeteilt war und nur durch Klettverschlüsse zusammengehalten wurde. In Windeseile trennte ich den Vorhang auf, schlüpfte in die Fensternische und fügte die Klettverschlüsse von dort aus wieder zusammen. Gott sei Dank, dachte ich. Ich presste mich ganz flach seitlich in die Nische, wagte es kaum zu atmen, sah den Main, der rückwärtig ganz still unter mir dahinfloss. Wenn nur die Aufseherin mich nicht im letzten Moment entdeckte!
    Irgendwann hörte ich Schritte. Das musste sie sein. Die Schritte kamen näher, blieben stehen, sie schien sich umzuschauen, dann entfernten sich die Schritte wieder, wurden leiser, bis sie ganz verstummten und alles still war.
    Kurz darauf gingen alle Lichter aus. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Luft wohl bald rein wäre. Aber trotzdem, lieber noch eine Zeit lang warten, als etwas zu riskieren. So stand ich mucksmäuschenstill in meiner Nische, ich, der Fremde, den keiner kannte, der sich selbst nicht kannte. Nach einiger Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, öffnete ich vorsichtig die Klettverschlüsse des Vorhangs und kehrte zurück in den Ausstellungsraum. Ruhig blieb ich stehen und lauschte. Nichts war zu hören. Ich kramte meine Taschenlampe aus dem Mantel, ließ den Lichtkegel über die Ornate in den Vitrinen und über das Gemälde, welches die Gründonnerstagsfußwaschung zeigte, huschen. Ganz allein war ich hier und ganz allein war ich auf der Welt.
    Dem Lichtkegel meiner Taschenlampe folgend, schlich ich anschließend in die fürstlichen Räume auf der Mainseite des Schlosses. Es war inzwischen dunkel geworden. Durch die Fenster sah ich den Main im Mondlicht glänzen. Es war so hell, dass ich die Taschenlampe wieder löschen konnte. Obwohl ich mich bemühte, keinen Lärm zu machen, knarrte das Parkett hier und da und jagte mir jedes Mal einen Stich durchs Herz.
    Schließlich trat ich ins Schlafzimmer des Fürsten. Zuerst betrachtete ich es ehrfürchtig. Die mit weinrotem Seidendamast bespannten Wände, das breite Bett mit seinem prunkvollen Baldachin, die weißen, goldverzierten Konsoltische an den Seitenwänden und die sechsarmige vergoldete Deckenleuchte ließen mich eher an Ausstellungsstücke aus einer vergangenen Märchenzeit denken als an ein Schlafzimmer. Doch ich fasste Mut und stieg vorsichtig über die dicke graue Absperrkordel, die den Durchgang der Besucher von den Ausstellungsstücken trennte. Ich trat an das Bett und berührte es vorsichtig mit der Hand. Gott sei Dank! Eine Alarmanlage hatte ich damit nicht ausgelöst, und so begann ich mich mit der Idee anzufreunden, in diesem Bett tatsächlich die Nacht zu verbringen. Ich zog die Schuhe aus, legte den Regenmantel über einen der mit Seidendamast bezogenen Stühle und stieg vorsichtig ins Bett. Über mir sah ich den fransenbesetzten Baldachin, an den Wänden die Spiegel mit geschnitzten, vergoldeten Rahmen und links von mir, in einer Nische, ein Elfenbeinkruzifix. Ich fühlte mich plötzlich so wohl, dass mir der Gedanke kam, ich könnte in Wahrheit ein Fürst sein, der irgendetwas mit Aschaffenburg zu tun hatte. Ich meinte, den Fluss zu spüren, der unterhalb des Schlosses still dahinfloss, sah den Mond durch das Fenster leuchten, roch diesen feierlich-muffigen Geruch, der sich in solchen Schlössern ausbreitet, und schlief, umnebelt von all diesen neuen Eindrücken, tatsächlich in jenem Fürstenbett ein. Irgendwann am nächsten Morgen, nachdem ich wie ein Toter geschlafen hatte, erschöpft von all den neuen Eindrücken, hörte ich Schritte. Die Aufsicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich sprang aus dem Bett, zog schnell die Decke glatt, kämmte durch meine nachtstrubbeligen Haare, warf meinen Regenmantel über und hastete ganz ans Ende des Mainflügels zum Turmzimmer. Dort wartete ich eine Weile, ging anschließend durch die Zimmerflucht in Richtung Treppenhaus zurück, grüßte die Aufseherin freundlich, die bereits in ihrer Ecke saß, und verließ erleichtert das Schloss. Ich hatte Glück gehabt. Die Museumswärterinnen schienen täglich zu wechseln, sodass man mich nicht erkannt hatte.
     
    Drei Nächte schlief ich auf diese Art im Bett des Fürsten und fing gerade an, mich daran zu gewöhnen. Ich genoss den abendlichen
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