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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame
Autoren: Georges Simenon
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Älteste, drehte ihr demonstrativ den Rücken zu.«
    »War die Tochter von Madame Besson auch dabei?«
    »Sie ist am Montag mit dem Nachmittagszug nach Paris zurückgefahren. Ich hatte keinen Grund, sie hier festzuhalten. Sie haben sicher schon gemerkt, dass ich völlig im Dunkeln tappe. Ich glaube aber, dass wir sie noch einmal vernehmen müssen.«
    »Wie sieht sie aus?«
    »So wie ihre Mutter in ihrem Alter, das heißt mit 38 Jahren, ausgesehen haben muss. Man könnte sie für 25 halten. Sie ist klein und zierlich, sehr hübsch, mit auffallend großen Augen, die fast nie ihren kindlichen Ausdruck verlieren. Trotzdem war in der Nacht von Sonntag auf Montag ein Mann, und zwar nicht ihr Ehemann, in ihrem Zimmer in La Bicoque.«
    »Hat sie Ihnen das erzählt?«
    »Ich habe es herausbekommen, aber zu spät, um sie nach Einzelheiten zu fragen. Ich muss Ihnen das alles der Reihe nach erzählen. Die Angelegenheit ist viel komplizierter, als es den Anschein hat. Ich musste mir Notizen machen. Erlauben Sie?«
    Er holte aus seiner Tasche ein hübsches Notizbuch aus rotem Leder, das wenig Ähnlichkeit aufwies mit dem abgegriffenen Merkbuch, das Maigret gewöhnlich benutzte.
    »Wir wurden Montag Morgen um sieben Uhr in Le Havre benachrichtigt. Als ich um acht Uhr ins Büro kam, fand ich einen Zettel auf meinem Schreibtisch vor.
    Ich setzte mich in den Simca und war kurz nach neun hier. Charles Besson war kurz vor mir angekommen.«
    »Wohnt er in Fécamp?«
    »Er hat dort ein Haus, in dem er mit seiner Familie das ganze Jahr über wohnt; seit er aber zum Abgeordneten gewählt wurde, hält er sich zeitweise auch in Paris auf, wo er in einem Hotel am Boulevard Raspail ein Appartement gemietet hat. Dort hat er den ganzen Sonntag mit seinen Angehörigen verbracht, das heißt mit seiner Frau und seinen vier Kindern.«
    »Er ist nicht Valentines Sohn, oder?«
    »Valentine hat keinen Sohn, sondern nur eine Tochter, Arlette, von der ich Ihnen erzählt habe; sie ist mit einem Zahnarzt verheiratet und lebt in Paris.«
    »War der Zahnarzt am Sonntag auch hier?«
    »Nein, Arlette kam allein. Ihre Mutter hatte Geburtstag. Es ist anscheinend Tradition in der Familie, sie an diesem Tag zu besuchen. Als ich sie fragte, mit welchem Zug sie gekommen sei, sagte sie, mit dem Vormittagszug, demselben, den Sie genommen haben. Sie werden gleich sehen, dass dies nicht stimmt. Als erstes durchsuchte ich am Montag, gleich nachdem die Leiche nach Le Havre überführt worden war, alle Räume des Hauses. Das war ein ziemliches Stück Arbeit, denn das Haus ist zwar klein und nett, aber verwinkelt und voll von zerbrechlichem Hausrat und Nippsachen.
    Außer dem Zimmer Valentines und dem Zimmer des Mädchens, die beide im ersten Stock liegen, gibt es nur noch ein Gästezimmer im Erdgeschoß, in dem Arlette schlief. Als ich den Nachttisch verrückte, fand ich ein Männertaschentuch, und ich hatte den Eindruck, dass die junge Frau, die mir zusah, plötzlich sehr erregt war. Sie hat es mir hastig aus der Hand gerissen.
    >Jetzt habe ich schon wieder ein Taschentuch von meinem Mann genommen!< Ich weiß nicht, warum, aber erst am Abend ist mir der eingestickte Buchstabe, ein H, wieder eingefallen. Arlette reiste wieder ab. Ich bot ihr an, sie in meinem Wagen zum Bahnhof zu bringen, und ich sah, wie sie ihre Fahrkarte am Schalter löste. Es ist dumm, ich weiß. Als ich wieder ins Auto stieg, stutzte ich. Warum hatte Arlette keine Rückfahrkarte? Ich ging in den Wartesaal und fragte den Kontrolleur an der Sperre: >Ist diese Dame Sonntag Morgen mit dem Zehn-Uhr-Zug angekommen?<
    >Welche Dame?<
    >Die ich eben hergebracht habe.<
    >Madame Arlette? Nein.<
    >Ist sie nicht am Sonntag angekommen?<
    >Sie ist vielleicht am Sonntag angekommen, aber nicht mit dem Zug. Ich habe die Fahrkarten selber eingesammelt, da hätte ich sie doch wiedererkannt.<«
    Castaing schaute Maigret etwas beunruhigt an.
    »Hören Sie mir zu?«
    »Aber ja, aber ja.«
    »Erzähle ich Ihnen vielleicht unwichtige Einzelheiten?«
    »Aber nein. Ich muss mich nur erst an alles gewöhnen.«
    »An was?«
    »An alles, an den Bahnhof, an Arlette, Valentine, den Mann, der die Fahrkarten abnimmt, an die Trochus. Gestern noch wusste ich von all dem überhaupt nichts.«
    »Als ich nach La Bicoque zurückkam, fragte ich die alte Dame nach dem Namen ihres Schwiegersohnes. Er heißt Julien Sudre, beide Wörter beginnen nicht mit einem H. Ihre beiden Stiefsöhne hießen Theo und Charles Besson. Nur der Gärtner, der drei
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