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Maigret und die alte Dame

Maigret und die alte Dame

Titel: Maigret und die alte Dame
Autoren: Georges Simenon
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waren viele Leute in La Bicoque. Und ich wüsste nicht, wer Valentine hier in der Gegend nicht gut gesinnt wäre. Sie können sich ja nicht vorstellen, wieviel Gutes diese Frau getan hat, als sie zu Lebzeiten ihres Mannes noch über die Mittel verfügte. Sie tut es immer noch, und obwohl sie nicht reich ist, denkt sie nur ans Geben. Es ist eine hässliche Geschichte, glauben Sie mir; Etretat war immer ein ruhiges Plätzchen; wir haben uns immer um ein ausgesuchtes Publikum bemüht, vor allem um Familien mit einem bestimmten gesellschaftlichen Niveau. Ich könnte Ihnen da Namen nennen...«
    Maigret bummelte lieber in den sonnigen Straßen herum; auf der Place de la Mairie las er über einem Schaufenster: >Konditorei Maurin - ehemaliges Haus Seuret<.
    Er fragte einen Laufjungen nach dem Weg nach La Bicoque; die Straße stieg in Serpentinen sanft zum Hügel an, auf dem vereinzelt Landhäuser mit Gärten standen. Er blieb in einiger Entfernung vor einem im Grünen versteckten Haus stehen, aus dessen Kamin langsam der Rauch in den blassblauen Himmel stieg. Als er ins Hotel zurückkam, war Inspektor Castaing bereits da; sein kleiner Simca stand vor der Tür, er selbst wartete oben an der Treppe.
    »Hatten Sie eine gute Reise, Herr Kommissar? Es tut mir leid, dass ich nicht an den Bahnhof kommen konnte. Ich habe mir gedacht, es wäre ganz interessant, bei der Beerdigung dabei zu sein. Wenn es stimmt, was man sich so erzählt, ist das auch Ihre Methode.«
    »Wie war sie?«
    Sie gingen am Meer entlang.
    »Ich weiß nicht recht. Ich möchte eigentlich sagen: nicht so gut. Irgendetwas Bedrohliches lag in der Luft. Die Leiche der Kleinen wurde heute Morgen von Le Havre überführt, die Eltern warteten am Bahnhof mit einem Lieferwagen, der sie nach Yport brachte. Es handelt sich um die Familie Trochu. Sie werden noch von ihr hören. Es wimmelt hier von Trochus, beinahe alle sind Fischer. Der Vater war lange bei den Heringsfischern in Fécamp dabei, so wie heute die beiden ältesten Söhne. Rose war die älteste der Mädchen. Es sind noch zwei oder drei, eine von ihnen arbeitet in einem Café in Le Havre.«
    Castaing hatte dichtes Haar, eine niedrige Stirn und verfolgte seine Gedankengänge mit der gleichen Verbissenheit, mit der er den Pflug geschoben hätte.
    »Ich bin nun seit sechs Jahren in Le Havre und kenne die Gegend wie meine Westentasche. Vor allem auf den Dörfern, die früher zu einem Schloss gehörten, trifft man noch Leute, die ehrerbietig und untertänig sind und von >unserer Herrschaft reden. Andere sind unfreundlich und abweisend, manchmal sogar aufsässig. Ich bin mir noch nicht sicher, zu welcher Kategorie die Trochus gehören, doch heute Morgen war die Stimmung um Valentine Besson eher frostig, um nicht zu sagen, beinahe feindlich.«
    »Gerade wurde mir versichert, dass sie in Etretat sehr verehrt wird.«
    »Yport ist nicht Etretat. Und die Rose - wie sie hier genannt wurde - ist tot.«
    »War die alte Dame bei der Beerdigung?«
    »Ganz vorn. Manche nennen sie >die Schlossherrin<, vielleicht weil sie früher ein Schloss in der Orne oder der Sologne besaß, ich weiß nicht mehr genau. Waren Sie schon bei ihr?«
    »Sie hat mich in Paris aufgesucht.«
    »Sie hatte mir zwar gesagt, dass sie nach Paris fährt, aber ich wusste nicht, dass es mit Ihnen zusammenhing. Was halten Sie von ihr?«
    »Noch nichts.«
    »Sie war ungeheuer reich. Jahrelang hatte sie ihr eigenes Stadthaus in der Avenue d’Iéna, ihr Schloss, ihre Yacht, und La Bicoque war nur ein Ausweichquartier.
    Sie fuhr dort immer in einer großen Limousine mit Chauffeur vor, im zweiten Auto folgte das Gepäck. Wenn sie sonntags die Messe besuchte und in der ersten Reihe saß (sie hat immer noch ihre Bank in der Kirche), erregte sie immer Aufsehen; sie teilte das Geld mit vollen Händen aus. Wenn jemand in finanziellen Schwierigkeiten war, hieß es immer: >Geh doch zu Valentinen Denn viele, vor allem die Älteren, nennen sie noch so.
    Heute Morgen kam sie mit dem Taxi nach Yport, wo sie genau wie früher aus dem Auto stieg, und es sah aus, als führe sie den Trauerzug an. Sie hatte einen riesigen Kranz mitgebracht, der alle anderen in den Schatten stellte.
    Vielleicht habe ich mich getäuscht, aber ich hatte den Eindruck, als ob die Trochu sehr erregt waren und sie schief anblickten. Sie legte Wert darauf, allen ihr Beileid auszudrücken, der Vater streckte seine Hand nur widerwillig aus und schaute sie dabei nicht an. Einer seiner Söhne, Henri, der
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