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Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht

Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht

Titel: Maigret - 55 - Maigret vor dem Schwurgericht
Autoren: Georges Simenon
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sich sehr gut verstanden haben. Auf meine weiteren Fragen hat er geantwortet, dass er am dreiundzwanzigsten Januar zum letzten Mal in der Rue Manuel gewesen ist. Die Adresse seines Bruders konnte er mir nicht geben, weil er den Kontakt zu ihm abgebrochen hat.«
    »Der Angeklagte hat also am ersten März kategorisch abgestritten, am Tag des Verbrechens, also am siebenundzwanzigsten Februar, in der Rue Manuel gewesen zu sein?«
    »Ja, Herr Vorsitzender. Auf meine Frage, was er an dem Tag gemacht hat, hat er mir geantwortet, dass er bis abends um halb sieben in seiner Werkstatt in der Rue de la Roquette gearbeitet hat. Ich habe mich später in dieser Werkstatt und in dem Laden umgesehen. Der Verkaufsraum hat nur ein schmales Schaufenster und ist vollgestopft mit Bilderrahmen und Kunstdrucken. Auf der Innenseite der Fenstertür ist ein Haken, an dem ein Schild mit der Aufschrift hängt: ›Bin hinten im Hof‹. Zum Hof kommt man über einen unbeleuchteten Weg, dort ist die Werkstatt, in der Meurant seine Bilderrahmen angefertigt hat.«
    »Gibt es eine Concierge?«
    »Nein. Das Haus besteht aus nur drei Stockwerken, die man vom Hof aus über eine Treppe erreichen kann. Es ist ein sehr altes, schmales Wohnhaus, das zwischen zwei Häuserwänden liegt.«
    Einer der Beisitzer, den Maigret nicht kannte, weil er erst vor kurzem aus der Provinz gekommen war, richtete seinen Blick stur geradeaus auf das Publikum, als würde er von alledem nichts verstehen. Der andere hingegen, der eine gesunde Gesichtsfarbe und weiße Haare hatte, nickte bei jedem Wort von Maigret, an einigen Stellen ließ er sich sogar, Gott weiß, warum, ein zufriedenes Lächeln entlocken. Die Geschworenen saßen regungslos da und erinnerten an die bunten Gipsfiguren einer Weihnachtskrippe.
    Der Verteidiger des Angeklagten, Pierre Duché, war noch jung, und es war sein erster wichtiger Prozess. Er wirkte nervös, war ständig kurz davor, aufzuspringen, beugte sich hin und wieder über seine Akte und machte sich jede Menge Notizen.
    Nur Gaston Meurant schien sich für das, was um ihn herum vorging, nicht zu interessieren, oder vielmehr wirkte er, als ob er mit dem ganzen Spektakel nichts zu tun hätte. Er war ziemlich groß, achtunddreißig Jahre alt, hatte rotblondes, lockiges Haar, einen zarten Teint und blaue Augen.
    Alle Zeugen schilderten ihn als einen sanften, ruhigen Einzelgänger, der zwischen seiner Werkstatt in der Rue de la Roquette und seiner Wohnung am Boulevard de Charonne hin- und herpendelte, von der aus man die Gräber auf dem Friedhof Père-Lachaise sah.
    Er verkörperte so ziemlich genau den Typ eines selbständigen Handwerkers, und das einzig Erstaunliche an ihm war die Frau, die er sich ausgesucht hatte.
    Ginette Meurant war klein, hatte eine sehr gute Figur, und ihr Blick, der Schmollmund, ihre ganze Erscheinung brachten die Männer automatisch auf erotische Gedanken.
    Sie war zehn Jahre jünger als ihr Mann, wirkte allerdings noch jünger und machte immer große, unschuldige Rehaugen.
    »Welches Alibi hat Ihnen der Angeklagte für den siebenundzwanzigsten Februar zwischen siebzehn und zwanzig Uhr angegeben?«
    »Er hat gesagt, dass er die Werkstatt gegen halb sieben verlassen und das Licht in seinem Laden ausgemacht hat. Dann sei er wie üblich zu Fuß nach Hause gegangen. Seine Frau war nicht da. Sie war im Kino, in der Fünfuhrvorstellung, wie öfter. Die Kassiererin hat es bestätigt. Es handelt sich um ein Kino am Faubourg Saint-Antoine, in das Ginette Meurant oft geht. Als sie kurz vor acht heimkam, hatte ihr Mann den Tisch gedeckt und das Essen vorbereitet.«
    »Hat er das sonst auch gemacht?«
    »Anscheinend, ja.«
    »Hat die Concierge am Boulevard de Charonne ihren Mieter nach Hause kommen sehen?«
    »Sie weiß es nicht. In dem Gebäude sind an die zwanzig Wohnungen, und gegen Abend kommen und gehen die Leute dort ein und aus.«
    »Haben Sie mit dem Angeklagten über die Vase, die Goldstücke und die Aktien gesprochen?«
    »An dem Tag nicht, aber am darauffolgenden, am zweiten März, als ich ihn in mein Büro vorgeladen habe. Ich hatte erst kurz zuvor durch die Concierge in der Rue Manuel von diesem Geld erfahren.«
    »Wusste der Angeklagte darüber Bescheid?«
    »Nach einigem Zögern hat er es mir gegenüber schließlich zugegeben.«
    »Hatte ihn seine Tante ins Vertrauen gezogen?«
    »Indirekt. Ich muss hier noch etwas ergänzen. Vor ungefähr fünf Jahren hat Gaston Meurant anscheinend auf Drängen seiner Frau seinen Beruf
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