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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Autoren: Georges Simenon
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verzerrten.
    Von dort, wo er saß, konnte er den Ertrunkenen sehen, und ihm galt sein Groll. Er machte ihm Vorwürfe. Er schnauzte ihn an. Er beschuldigte ihn dunkler Machenschaften, und momentweise forderte er ihn sogar heraus: Der soll mir nur nochmals kommen!
    Die junge Frau im Nachthemd versuchte ihm die Flasche wegzunehmen, aber er sagte ihr nichts weiter als:
    »Du, geh schlafen!«
    Er schob sie weg, denn sie hinderte ihn daran, seinen Gefährten zu sehen. Sie waren beide etwa gleich groß gewachsen, aber der andere war breitschultriger, fester, mit einem mächtigen Nacken und einem eckigen Kopf mit dichtem Haarwuchs.
    Man hörte das Brummen eines Autos. Alle sahen hin, wer wohl aussteigen würde. Es waren Polizisten sowie ein Arzt; sie kamen kurz darauf die Treppe herunter. Ohne zu wissen, was eigentlich los war, schickten sich die Polizisten sofort an, die Neugierigen fernzuhalten. Der Arzt legte sein Köfferchen auf einen Betonblock.
    Ein Inspektor in Zivil wandte sich, nachdem er mit einigen Leuten gesprochen hatte, dem Alten zu, auf den man ihn hingewiesen hatte. Aber es war zu spät, um ihn zu vernehmen. Er hatte die Schnapsflasche zur Hälfte geleert und sah jedermann argwöhnisch an.
    »Ist er Ihr Vater?«, fragte der Inspektor die junge Frau im Nachthemd.
    Sie schien nicht zu verstehen. Zu viel geschah jetzt auf einmal. Der Kneipenwirt kam dazu und erklärte:
    »Gassin war sturzbetrunken. Bestimmt ist er auf dem Steg ausgerutscht.«
    »Und der da?«
    Der Arzt zog den anderen Mann aus.
    »Émile Ducrau, der mit den Schleppern und Kiesgruben, er wohnt hier.« Man wies auf das hohe Haus mit den Klappläden im ersten Stock, wo immer noch etwas Licht unten durchdrang, und mit den rosa Fenstern im zweiten.
    »Im zweiten Stock?«
    Die Leute wussten nicht recht, wie sie es erklären sollten.
    »Im ersten«, sagte einer.
    Und ein anderer fügte geheimnisvoll hinzu:
    »Und im zweiten auch. Oder jedenfalls hat er noch jemanden im zweiten.«
    »Man könnte sagen, ein zusätzlicher Haushalt!«
    Das obere Fenster vor dem rosa Zimmer wurde wieder geschlossen und das Rollo heruntergelassen.
    »Ist die Familie benachrichtigt worden?«
    »Nein. Man weiß ja noch gar nicht, ob …«
    »Geh, zieh Strümpfe an«, sagte ein Matrose zu seiner Frau. »Und bring mir meine Mütze mit.«
    So huschte immer wieder die eine oder andere Gestalt von einem Schiff aufs nächste. Durch die Deckluken und Bullaugen konnte man Petroleumlampen sehen, zuweilen ein zerwühltes Bett, Fotografien an den Pechkieferwänden.
    Der Arzt sagte leise zum Inspektor:
    »Sie sollten den Kommissar benachrichtigen. Der Mann ist, bevor er ins Wasser geworfen wurde, durch einen Messerstich verletzt worden.«
    »Ist er tot?«
    Man hätte meinen können, der Ertrunkene habe nur auf diesen Moment gewartet, um die Augen aufzuschlagen, und gleichzeitig gab er nun, in einem Aufstöhnen, das Wasser von sich. Er sah alles schräg von unten, denn er lag auf dem Boden, und der sternenübersäte Himmel bildete seinen Horizont. Über ihm ragten die Leute riesenhaft ins Unendliche auf. Ihre Beine waren für ihn wie nicht enden wollende Pfeiler. Er sagte nichts. Vielleicht dachte er noch nicht einmal etwas. Er schaute langsam und mit hartem Blick um sich, und nach und nach wurden seine Pupillen weicher.
    Offenbar hatte man sein Aufstöhnen gehört, denn alle drängten nun gleichzeitig herbei, und unversehens verliehen die Beamten der Szene nun etwas Normales, Offizielles, das heißt, sie bildeten ein Spalier, hielten die Menge zurück und ließen nur jene in ihren Kreis eindringen, die dort etwas zu tun hatten.
    So leerte sich der Raum um den auf den Boden Gebetteten, und er sah nur noch Uniformen, mit silbernen Tressen besetzte Schirmmützen. Er spuckte weiterhin graues Wasser aus, das von seinem Kinn auf seine Brust lief, während man seine Arme unaufhörlich vor und zurück schlug. Auch dieses Schwenken seiner Arme verfolgte er neugierig, und als jemand in der hintersten Reihe murmelte: »Ist er tot?«, runzelte er die Brauen.
    Der alte Gassin stand auf, immer noch die Flasche in der Hand; er machte drei unentschlossene Schritte, dann pflanzte er sich zwischen den Beinen des »Ertrunkenen« auf und rempelte ihn an; aber seine Stimme war so belegt, die Zunge so schwer, dass man auch nicht eine einzige Silbe verstand. Jedenfalls sah ihn Ducrau und ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Er dachte nach. Er schien in seinem Gedächtnis zu forschen.
    »Kommen Sie nicht so
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