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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17
Autoren: Simenon
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Würde angenommen. Vielleicht hatten sie sich irreführen lassen durch die Art dieses Kommissars, der alles so selbstverständlich hinnahm und den Eindruck erweckte, als fände er das, was geschehen war, ganz natürlich.
    »Sie entschuldigen bitte die Unordnung!«
    Und ob. Außerdem konnte man es nicht als Unordnung bezeichnen. Es wirkte alles eher schmuddelig. Es hatte etwas von einer Höhle, wo Tiere inmitten ihrer Nahrungsreste und Körperabsonderungen in ihrem eigenen Dunst leben, aber auch von bürgerlichem Interieur mit prätentiöser Schwülstigkeit.
    An einem Garderobenhaken in der Eingangshalle hing ein alter Mantel von William Brown. Maigret griff in die Taschen und zog ein paar abgetragene Handschuhe, einen Schlüssel und eine Schachtel Lakritze heraus.
    »Aß er Lakritze?«
    »Wenn er getrunken hatte, damit wir es nicht merkten. Wir haben ihm den Whisky verboten, die Flasche war immer versteckt.«
    Über der Garderobe hing ein Hirschkopf mit Geweih, und daneben stand ein Rohrtischchen mit einem Silbertablett darauf für Visitenkarten!
    »Hat er diesen Mantel getragen?«
    »Nein. Seinen Gabardine.«
    Im Eßzimmer waren die Fensterläden geschlossen. Der Raum diente nur noch als Abstellkammer. Brown mußte zum Angeln gegangen sein, denn auf dem Boden lagen Hummerkörbe.
    Dann kam die Küche. Der Herd wurde nicht benutzt, nur ein Spirituskocher. Fünfzig bis sechzig leere Mineralwasserflaschen standen herum.
    »Das Wasser hier ist zu kalkhaltig, und da …«
    Auf der Treppe lag ein abgetretener Läufer, der mit Kupferstangen befestigt war. Es genügte, dem Moschusduft nachzugehen, dann kam man in Ginas Zimmer.
    Es hatte weder Bad noch Toilette. Auf dem ungemachten Bett lagen durcheinandergeworfene Kleider. Hier hatten sie aussortiert, was sie mitnehmen wollten und was nicht.
    Das Zimmer der Alten betrat Maigret lieber nicht.
    »Wir sind so überstürzt aufgebrochen. Es ist mir richtig peinlich, Ihnen das Haus in diesem Zustand zu zeigen.«
    »Ich komme noch mal vorbei.«
    »Dann sind wir also frei?«
    »Es heißt nur, daß Sie nicht ins Gefängnis zurück müssen. Vorerst jedenfalls. Wenn Sie aber versuchen sollten, Antibes zu verlassen …«
    »Auf keinen Fall!«
    Sie begleiteten ihn zur Tür. Der Alten fielen plötzlich ihre guten Manieren ein.
    »Eine Zigarre, Herr Kommissar?«
    Gina ging noch weiter. Mußte man sich nicht die Sympathie eines Mannes sichern, der so viel Einfluß hatte?
    »Sie können gern die ganze Schachtel mitnehmen. William wird sie ja nun nicht mehr rauchen …«
    Es war unvorstellbar! Als Maigret wieder draußen war, brummte ihm der Schädel. Er hatte gleichzeitig Lust, zu lachen und den Kopf zu schütteln.
    Wenn man das Gittertor hinter sich hatte und zurückschaute, machte die Villa, wie sie so weiß im Grünen lag, einen völlig anderen Eindruck … Direkt über dem Dach stand der Mond, zur Rechten schimmerte das Meer, und die Mimosen zitterten.
    Den Gabardine unterm Arm, ging er in sein Hotel zurück, ohne nachzudenken, hin- und hergerissen zwischen unbestimmten, teils unangenehmen, teils amüsierten Gefühlen.
    Dieser verdammte William!
    Es war spät. Niemand mehr war im Speisesaal, außer einem Serviermädchen, das wartete und Zeitung las. Da entdeckte er, daß er nicht seinen eigenen Gabardine mitgenommen hatte, sondern den von Brown; er war schmutzig und hatte Flecken von Öl und Wagenschmiere.
    In der linken Tasche befand sich ein Schraubenschlüssel, in der rechten eine Handvoll Münzen und einige viereckige Kupferplättchen mit einer Nummer darauf.
    Es waren Jetons für Spielautomaten, wie man sie in kleinen Bars an der Theke bekommen kann.
    Ungefähr ein Dutzend.

    »Hallo? Hier Inspektor Boutigues. Soll ich Sie im Hotel abholen?«
    Es war neun Uhr vormittags. Um sechs Uhr hatte Maigret sein Fenster geöffnet und seitdem nur noch zeitweise geschlafen und den Gedanken genossen, daß sich draußen das Mittelmeer ausbreitete.
    »Weshalb?«
    »Wollen Sie nicht die Leiche sehen?«
    »Ja … Nein … Vielleicht nachmittags. Rufen Sie mich um die Mittagszeit noch mal an.«
    Er mußte erst wach werden. Angesichts der Morgenstimmung kamen ihm die Geschichten vom gestrigen Abend reichlich unglaubwürdig vor, und er erinnerte sich an die beiden Frauen wie an einen halbvergessenen Alptraum.
    Die beiden waren noch nicht aufgestanden. Und wenn Brown noch leben würde, würde er sich jetzt in seinem Garten oder seiner Garage zu schaffen machen. Allein. Und ungewaschen. Und der kalte
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