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Maigret 17

Maigret 17

Titel: Maigret 17
Autoren: Simenon
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War Blut im Wagen?«
    »Nein. Sie schwören, daß sie es selbst weggewischt haben.«
    »Ist das alles?«
    »Das ist alles. Die beiden sind verrückt! Sie verlangen, daß man sie freiläßt.«
    Das Pferd vor dem Fiaker draußen wieherte. Maigret hätte am liebsten seine Zigarre weggeworfen, wagte es aber nicht. Er wollte sie nicht zu Ende rauchen.
    »Einen Whisky!« schlug Boutigues vor, der die Hausbar entdeckt hatte.
    Nein, wirklich, nach einer Tragödie sah das alles nicht aus! Maigret unternahm eine vergebliche Anstrengung, die Sache ernst zu nehmen. Lag es an der Sonne, an den Mimosen, an den Orangen, an dem Fischer, der immer noch drei Meter tief in dem klaren Wasser nach Seeigeln spähte?
    »Können Sie mir die Hausschlüssel überlassen?«
    »Selbstverständlich. Nachdem Sie ja nun die Untersuchung in die Hand nehmen …«
    Maigret leerte das Glas Whisky, das Boutigues ihm reichte, betrachtete die Platte, die auf dem Plattenteller lag, drehte mechanisch an den Knöpfen, und es ertönte:
    »… dunkler Weizen … im November …«
    In diesem Augenblick entdeckte er hinter dem Apparat ein Foto und nahm es in die Hand, um es aus der Nähe zu betrachten.
    »Ist er das?«
    »Ja. Ich habe ihn nie lebend gesehen, aber ich erkenne ihn.«
    Maigret war leicht nervös geworden und stellte den Plattenspieler ab. Irgend etwas war in ihm ausgelöst worden. Interesse? Mehr als das.
    Ein unbestimmtes und im übrigen ziemlich unangenehmes Gefühl. Bis jetzt war Brown lediglich Brown gewesen, ein Unbekannter, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ausländer, der unter mehr oder weniger mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war. Niemanden hatte es interessiert, was er gedacht hatte, als er noch lebte, was er für Anschauungen gehabt, worunter er vielleicht gelitten hatte.
    Und nun, als er das Porträt betrachtete, war Maigret verwirrt, weil er das Gefühl hatte, den Mann zu kennen. Nicht, daß er ihm schon einmal begegnet wäre …
    Nein! Die Gesichtszüge als solche sagten ihm nichts: Das großflächige Gesicht eines kräftigen Mannes, eher eines Sanguinikers, mit etwas gelichteten roten Haaren, einem kleinen Schnurrbart über der Lippe und großen, hellen Augen.
    Nein, es lag etwas in der gesamten Haltung, im Ausdruck, das Maigret an sich selbst erinnerte. Die Art, die Schultern etwas einzuziehen, der auffallend ruhige Blick, der gleichzeitig biedere und ironische Zug um die Lippen …
    Es war nicht mehr die Leiche Brown. Es war ein Mensch, den der Kommissar gern näher kennengelernt hätte und der ihn beschäftigte.
    »Noch einen Schluck Whisky? Er ist nicht schlecht.«
    Boutigues scherzte! Nun war er höchst erstaunt, daß Maigret plötzlich nicht mehr auf seine Späße einging und mit abwesender Miene in die Runde blickte.
    »Sollen wir dem Kutscher ein Glas bringen?«
    »Nein! Wir fahren.«
    »Sie wollen sich nicht das Haus ansehen?«
    »Ein andermal!«
    Wenn er allein war. Und wenn ihm der Kopf nicht so dröhnte von dem hellen Sonnenlicht. Während sie in die Stadt zurückfuhren, redete er kein Wort, er antwortete Boutigues nur noch mit einem Kopfnicken, und der Inspektor fragte sich, wodurch er es sich mit seinem Kollegen verdorben haben konnte.
    »Sie werden sicher die Altstadt besichtigen wollen. Das Gefängnis ist gleich beim Markt. Aber am besten ist es, wenn man morgens …«
    »Zu welchem Hotel?« fragte der Kutscher und wandte sich zu ihnen um.
    »Wollen Sie im Zentrum wohnen?« fragte Boutigues.
    »Lassen Sie mich ruhig hier. Für mich tut’s das.«
    Auf halbem Weg zwischen dem Cap und der Stadt fanden sie eine Art Familienpension.
    »Kommen Sie heute abend noch zum Gefängnis?«
    »Ich werde morgen sehen …«
    »Soll ich Sie abholen? Oder wenn Sie nach dem Essen ins Casino in Juan-les-Pins gehen wollen, könnte ich …«
    »Danke. Ich bin sehr müde.«
    Er war nicht müde, aber sehr mitgenommen. Ihm war heiß, und er schwitzte.
    In seinem Zimmer angekommen, das aufs Meer ging, ließ er Wasser in die Wanne laufen, dann änderte er seine Meinung und ging wieder fort, die Pfeife zwischen den Zähnen und die Hände in den Taschen.
    Im Speiseraum sah er die kleinen weißen Tische, die fächerartig gefalteten Servietten in den Gläsern, die Wein- und Mineralwasserflaschen, das Dienstmädchen, das den Boden kehrte.
    Brown wurde durch einen Messerstich in den Rücken getötet, und seine beiden Frauen haben versucht, mit dem Geld zu fliehen …
    Das war alles noch recht unklar. Unwillkürlich blickte er in die Sonne,
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