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Magnus Jonson 01 - Fluch

Titel: Magnus Jonson 01 - Fluch
Autoren: Michael Ridpath
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Nase. Lediglich der Name war nicht identisch. Im isländischen Ausweis stand sein richtiger Name: Magnús Ragnarsson. Er hieß Magnús, sein Vater hieß Ragnar, und der Vorname seines Großvaters war Jón. Daher hieß sein Vater Ragnar Jónsson und er Magnús Ragnarsson. Logisch.
    Doch natürlich ließ sich die amerikanische Bürokratie nicht auf diese Logik ein. Ein Sohn konnte nicht einen anderen Nachnamen haben als der Vater und die Mutter, die nämlich Margrét Hallgrímsdóttir hieß. Für die Amtscomputer waren diese Personen nicht Mitglieder derselben Familie. Mit den Akzenten auf den Vokalen kamen sie auch nicht zurecht, und die ungewöhnliche Schreibweise von Jonsson war ebenfalls nicht nach ihrem Geschmack. Als Magnus nach Amerika kam, hatte Ragnar einige Monate dagegen gekämpft und schließlich das Handtuch geworfen. Und so wurde aus dem zwölfjährigen Isländer Magnús Ragnarsson der amerikanische Junge Magnus Jonson.
    Magnus schaute wieder in das Buch auf seinem Schoß. Es war die Saga von Njál, eine seiner liebsten.
    Auch wenn Magnus in den vergangenen dreizehn Jahren nur wenig Isländisch gesprochen hatte, so hatte er doch viel gelesen. Nach dem Umzug nach Boston hatte sein Vater ihm aus den Sagas vorgelesen, sodass sie für den Jungen ein Quell des Trostes in der verwirrenden Neuen Welt wurden. Das blieben sie bis heute. Die meisten Sagas handelten vom Leben der Wikingerclans, die sich um 900 auf Island niedergelassen hatten, bis im Jahr 1000 das Christentum kam. Die Helden der Sagas waren tiefgründige Männer mit zahlreichen Schwächen und Stärken, die jedoch klare moralische Grundsätze, Ehrgefühl und Respekt vor dem Gesetz hatten. Es waren mutige Abenteurer. Für einen einsamen Isländer auf einer riesigen amerikanischen Junior High School waren sie Ansporn und Ermutigung. Wenn einer ihrer Angehörigen getötet wurde, wussten die Wikinger immer, was zu tun war: Sie forderten Geld zur Wiedergutmachung, und wenn darauf nicht eingegangen wurde, forderten sie Blut, alles streng nach dem Gesetz.
    Und so wusste Magnus, was er zu tun hatte, als er zwanzig Jahre alt war und sein Vater ermordet wurde: der Gerechtigkeit genüge tun.
    Die Polizei fand den Mörder seines Vaters nie, und trotz großer Bemühungen gelang es auch Magnus nicht; dennoch beschloss ernach dem College, zur Polizei zu gehen. Auch heute noch wollte er Gerechtigkeit, doch wie viele Mörder er in den letzten zehn Jahren auch festgenommen hatte, Gerechtigkeit hatte er nie gefunden. Jeder Mörder war der Mörder seines Vaters, bis er ihn zur Strecke gebracht hatte. Dann ging das Streben nach Vergeltung weiter, blieb jedoch stets unerfüllt.
    Das Flugzeug sank weiter nach unten. Wieder eine Lücke in den Wolken; diesmal konnte Magnus sehen, wie sich die Wellen an den braunen Lavafeldern der Halbinsel Reykjanes brachen. Ein schwarzer Streifen schnitt durch das öde Gestein und den staubigen Boden: die Autobahn von Reykjavík zum Flughafen in Keflavík. Wolkenfetzen trieben über ein einsames weißes Haus auf einem Fleckchen grünen Grases hinweg wie Rauch aus einem Vulkan, dann war Magnus wieder über dem Meer. Die Wolkendecke schloss sich unter dem Flugzeug, das sich für die Landung in die Kurve legte.
    Je näher Island kam, desto mehr hatte Magnus das Gefühl, er nähere sich der Aufklärung des Mordes an seinem Vater oder zumindest der Auf lösung . Vielleicht würde es ihm in Island endlich gelingen, diesen Tod irgendwie einzuordnen.
    Das Flugzeug brachte Magnus auch näher an seine Kindheit, an Schmerz und Unbehagen.
    Es hatte in seinem Leben eine goldene Zeit gegeben, die bis zu seinem achten Lebensjahr dauerte. Damals wohnte seine Familie in der Nähe des Zentrums von Reykjavík in einem kleinen Haus mit weißen Wellblechwänden und einem strahlend blauen Wellblechdach. Sie hatten einen kleinen Garten mit einem weiß gestrichenen Gartenzaun, in dem ein verkümmerter Baum stand, eine alte Mehlbeere, auf die man klettern konnte. Jeden Morgen war Magnus’ Vater zur Universität gegangen, und seine Mutter, die schön war und viel lachte, unterrichtete an der höheren Schule in der Nachbarschaft. Magnus erinnerte sich daran, wie er in den langen Sommernächten mit seinen Freunden Fußball gespielt hatte, und an seine Aufregung, wenn im gemütlich dunklen Winterdie dreizehn schelmischen Weihnachtsmänner dreizehn kleine Geschenke in den Schuh legten, den Magnus unter seinem offenen Schlafzimmerfenster aufgestellt hatte.
    Dann
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