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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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und sich sogar in diesem vorpubertären Zustand fortpflanzt, bis zu den Aalen, die ihr ganzes Leben lang geschlechtslos bleiben und deren Paarungsbereitschaft erst am Ende ihres Daseins erwacht.
    Generationen haben an diesem elementaren Eingriff in unser Leben gearbeitet. Das Resultat war eine neue Menschheit. Adam wurde noch einmal erschaffen, und dieses Mal nicht von einem fernen Gott, sondern von Menschenhand.
    Damit aber wurde nicht nur die Vernunft von ihrem gefährlichen Ballast befreit. Probleme, die man seit ewigen Zeiten als unabdingbar hingenommen hatte, lösten sich mit einem Mal wie von selbst. Mit der Verdrängung des Sexualtriebs wurde ja nicht nur die Ursache aller Aggressivität abgeschafft, sondern auch die schlimmste Geißel der Menschheit. Im Jahr 2000 der alten christlichen Zeitrechnung gab es in Afrika mehr Aidskranke als Einwohner in ganz Kanada. Südlich der Sahara war jeder Dritte infiziert.
    Mit dem Sieg über Aids und die Geschlechtskrankheiten wurden auch die Krankheiten verdrängt, die mit steigendem Alter anfallen, und das waren mit Abstand die meisten. Der größte Gewinn aber war der Sieg über das Altern. Was haben die Menschen nicht alles unternommen, um ihre Jugend zu bewahren! Sie haben in Eselsmilch gebadet, haben ihre Glatzen unter Perücken versteckt. Erschlaffte Haut wurde geliftet, Falten wurden unterspritzt, Tränensäcke verkleinert und Busen vergrößert. Alles vergeblich.
    Mit Hilfe der hormonellen Purifikation ist es uns gelungen, die Geschlechtsreife des Menschen so weit hinauszuzögern, dass der vorpubertäre Lebensabschnitt sich über vier Jahrzehnte erstreckt.
    Von allen Lebewesen besitzt der Mensch die längste Kindheit. Die Zeitspanne zwischen Geburt und Geschlechtsreife liegt bei der Mehrzahl der Säugetiere unter zwei Jahren. Beim Menschen dauert sie anderthalb Jahrzehnte. Je weiter die Geschlechtsreife hinausgeschoben wird, umso größer ist die Möglichkeit geistiger Entfaltung.
    Welch geistiges Potenzial haben wir damit erschaffen! Hinzu kommt, dass Jungtiere sehr folgsam sind. Die Überlebensstrategie der Natur verlangt das so.
    Ein Leben lang verfügt der neue Mensch über den Körper eines Zwölfjährigen.
    Allerdings fließt dieser Jungbrunnen nicht für alle, kann nicht für alle fließen. Denn den Preis für die Kindheit der Blühenden bis an das Lebensende zahlen wir, die Ordensfrauen. Uns ist dieser Zustand nicht gegeben.
    Wir müssen verwelken, damit die Mehrheit blühen kann.
    Mein Spiegelbild erfüllt mich immer wieder mit Schrecken. Zwischen all den jungen Menschenkindern fühle ich mich wie eine vertrocknete Frucht. Nur meine Augen scheinen nicht mitgealtert zu sein. Im Gegensatz zu den Blühenden verfüge ich über Reife.
    Blüte und Frucht sind jede auf ihre Art vollkommen. Zwischen beiden Entwicklungsstadien liegt die noch unreife Frucht, ein unfertiges Provisorium, das wir abgeschafft haben. Der neue Mensch ist entweder blühend jung, und das sein ganzes Leben lang, oder er altert wie wir Ordensfrauen. Seine Neuschöpfung bedurfte des Opfers einer Elite.
    So wie das Heil der Menschen einst in den Händen der Priester lag, so liegt es heute in unseren Händen. Aber es gibt da einen entscheidenden Unterschied: Wir versprechen kein Paradies im Himmel, wir haben diesen Traum im Diesseits verwirklicht: einen Garten Eden auf Erden.
    In diesem Punkt hatte der Sohn des alten Christengottes schon recht, wenn er prophezeite: »Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein, ihr werdet das Paradies nicht erfahren.«

4. KAPITEL
    S o wie man beim Rückblick auf ein vergangenes Jahr die besonderen Ereignisse im Gedächtnis bewahrt, besteht auch ein Leben aus Hervorragendem und Unvergesslichem. Manchmal rinnt das Leben davon wie ein träge dahinfließender Strom, dann tost es in Wasserfällen davon, verharrt in Überschwemmungen, schießt durch enge Schluchten und verliert sich im Seichten, mal trübe, mal klar, spiegelt Wolken und Weidenbäume.
    Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, an dem Mater Meta Pamela in unserem Kinderhort erschien, um nach Auserwählten zu suchen. Wir Kinder saßen auf der Ufermauer am See und fütterten die Fische, fingerkleine, silbrig blitzende Geschöpfe, flossenfächelnd und flink. Sie schossen in dem grünklaren Wasser dahin wie die Schwalben in der Luft. Wäre ein Hecht aus dem Schilf herbeigeglitten, so hätte der Schreck, den er den Fischlein eingejagt hätte, nicht größer sein können als der, der
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