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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau
Autoren: B Akunin
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erinnerten wir uns an die kürzlich verübten und scheinbar ebenso grundlosen Selbstmorde des Photographen Swiridow (s. unsere Notiz vom 4. August) und des Lehrers Soimonow (s. unsere Beiträge vom 8. und vom 11. August).
    In beiden Fällen war ein Abschiedsgedicht vorhanden, was in unserem prosaischen Rußland, wie Sie mir beipflichten werden, nicht eben häufig vorkommt!
    Bedauerlich, daß die Polizei nicht die Abschiedszeilen des Photographen Swiridow aufgehoben hat, doch es gibt auch so reichlich Stoff für Überlegungen und Mutmaßungen.
    In dem Abschiedsgedicht Soimonows wird eine geheimnisvolle Person erwähnt, die dem Giftmischer »zeigte der Liebe Sinn« und ihn dann »hinnehmen« sollte »wie die Blume«. Zu Schutow kam ein Liebesbote von Ihr, einer ungenannten Person weiblichen Geschlechts, und zu Lamm ein Bote des Bräutigams.
    Liegt es nicht nahe, anzunehmen, daß die liebreiche Person in den Gedichten der drei Selbstmörder der Tod selber ist? Dann wird vieles |11| klar: Die Leidenschaft, welche die Liebenden nicht ins Leben, sondern ins Grab stößt, ist die Liebe zum Tod.
    Ihr gehorsamer Diener hat keinen Zweifel mehr daran, daß sich in Moskau nach dem Beispiel etlicher europäischer Städte eine Geheimgesellschaft von Todesanbetern gebildet hat, Wahnsinnigen, die in den Tod verliebt sind. Der Geist von Unglauben und Nihilismus, die Krise von Sittlichkeit und Kunst, noch mehr aber der gefährliche Dämon, dessen Name
Ende des Jahrhunderts
lautet – das sind die Bazillen, die das tödliche Übel hervorgebracht haben.
    Wir haben uns das Ziel gesetzt, soviel wie möglich über die Geschichte rätselhafter Gesellschaften, sogenannter Selbstmörderklubs, herauszufinden. Folgende Informationen konnten wir zusammentragen.
    Selbstmörderklubs sind keine rein russische, ja, überhaupt keine russische Erscheinung. Bislang hat es solche ungeheuerlichen Organisationen in den Grenzen unseres Imperiums nicht gegeben. Aber da wir Europa auf dem Weg des »Fortschritts« folgen, kommen wir offenbar auch nicht an dieser verderblichen Mode vorbei.
    Die erste historische Erwähnung einer freiwilligen Vereinigung von Todesanbetern geht zurück auf das erste Jahrhundert vor Christus; damals gründete das legendäre Liebespaar Antonius und Kleopatra die »Akademie der im Tode Unzertrennlichen« – für Liebende, die »gemeinsam sterben wollten: still, freudig und zum gewünschten Zeitpunkt«. Dieses romantische Vorhaben endete bekanntlich nicht so idyllisch, da es die große Königin im entscheidenden Moment vorzog, sich von dem besiegten Antonius zu trennen und ihr Leben zu retten. Als sich dann aber zeigte, daß ihre hochgepriesenen Reize auf den kühlen Octavian keine Wirkung hatten, legte Kleopatra doch noch Hand an sich, wobei sie mit Bedacht und Geschmack zu Werke ging, ganz im Stil der Antike: Lange suchte sie nach der besten Methode, sich zu töten, erprobte an Sklaven und Verbrechern alle möglichen Gifte und entschied sich schließlich für den Biß der ägyptischen Kobra, der fast |12| keine unangenehmen Empfindungen zur Folge hat, abgesehen von leichtem Kopfschmerz, der sehr bald abgelöst wird von »unüberwindlicher Todessehnsucht«.
    Das ist eine Legende, werden Sie sagen, zumindest aber ein uralter Hut. Für solche »Akademien« ist der moderne Mensch doch viel zu irdisch und materialistisch eingestellt und klammert sich viel zu sehr ans Leben.
    Nun denn, betrachten wir das aufgeklärte 19. Jahrhundert. Gerade in ihm florierten Klubs von Selbstmördern, Menschen, die sich in Geheimorganisationen zusammenschlossen zu dem einzigen Zweck, ohne großes Aufsehen aus dem Leben zu scheiden.
    Schon 1802 entstand in dem gottlosen Paris nach der Revolution ein Klub mit 12 Mitgliedern, deren Zusammensetzung sich begreiflicherweise ständig erneuerte. Laut Statut wurde die Reihenfolge des Hinscheidens durch das Kartenspiel ermittelt. Zu Beginn jedes neuen Jahres wurde ein Vorsitzender gewählt, der verpflichtet war, sich noch vor Ablauf seiner Vollmachten zu töten.
    1816 entstand in Berlin ein »Todeszirkel«. Seine sechs Mitglieder machten keinen Hehl aus ihren Absichten, im Gegenteil, sie bemühten sich nach Kräften, weitere Mitglieder zu gewinnen. Als legitim galt nur der Selbstmord mit der Pistole. Schließlich hörte der »Todeszirkel« auf zu bestehen, da sich alle seine Mitglieder erschossen hatten.
    Später waren Selbstmörderklubs nicht mehr exotisch, sondern nachgerade ein Attribut europäischer
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