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Märchenmord

Märchenmord

Titel: Märchenmord
Autoren: Krystyna Kuhn
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Heidi. Ihr fehlte nur die weiße Schleife im Haar und Klara hatte mit Sicherheit keine Löcher in den Strumpfhosen. Wenige Minuten später tauchte der Junge wieder vor ihr auf, immer noch dieses Grinsen im Gesicht, als sei es festgewachsen. Die Sohlen der Chucks glitzerten feucht. Jetzt begann er, sie sorgfältig und schnell mit einer Bürste zu bearbeiten. »O. k.!«, strahlte er und sagte dann auf Deutsch: »Fertig, Mademoiselle.« Er kniete sich vor Gina, um ihr die Schuhe überzuziehen. »Kann ich selbst«, murmelte sie. »Sei doch nicht immer so zickig«, sagte ihre Mutter und überquerte mit einer riesigen grünen Wassermelone unter dem Arm und einer Einkaufstüte, Monsieur Saïd im Schlepptau, die Straße. »Ich bin nicht zickig«, erklärte Gina. »Zickig sind nur Tussis, die in ihrer Rosaphase stecken geblieben sind.« »Darf ich vorstellen«, erklärte ihre Mutter an Monsieur Saïd gewandt, »das ist meine Tochter Gina.« »Oh! la la! Quelle jolie Demoiselle.« Monsieur Saïd verbeugte sich kurz, lächelte ihr zu und strich sich anschließend über den dicken Schnurrbart, der aussah wie ein Rasierpinsel. »Komm mich besuchen, wenn du dich langweilst.«
    Gina musste zugeben, der Lebensmittelhändler war wirklic h putzig im Gegensatz zu diesem Schuhputzer, der nun ihr e Chucks mit einem Zeug einsprühte, das stank wie Insektenvernichtungsmittel . »Non«, protestierte sie, doch niemand achtete auf sie. Stattdessen verwickelte ihre Mutter den Jungen auch noch in ein Gespräch . »Wie ist dein Name? « »Noah. « »Oh, Noah! Wie viele Tiere hast du denn schon gerettet? « Oh Gott, ihre Mutter kicherte! Gina stöhnte laut . »Keine. Ich bin für Schuhe zuständig. « »Woher kommst du? « »Marokko. « »Ich glaube, Gina, meine Tochter, ist ungefähr so alt wie du . Vielleicht könnt ihr Freunde werden. « Gina warf ihrer Mutter einen wütenden Blick zu. Was denn ? Waren sie im Kindergarten? Machte ihre Mutter auf Völkerverständigung? Sollte sie außer Latein auch noch Arabisch lernen ? » Salut , Gina.« Noah lächelte . Smile, Smile, Smile. Er wollte sich sowieso nur bei ihrer Mutte r einschmeicheln, machte auf Sunnyboy, damit er mehr Trinkgeld kassierte .
    »Salut.«
    Und, hatte sie es nicht gewusst, schon zückte ihre Mutter den Geldbeutel und machte das, genau das, wovor Ginas Vater, der bei einer großen Bank arbeitete, stets warnte. Nie, niemals einem Fremden den eigenen Geldbeutel zeigen! Und schon gar keinem Ausländer. Unter keinen Umständen! Sonst ist er weg!
    Paris, die Stadt der Taschendiebe. Sie stehlen alles. Von den Schuhen bis zum Geldbeutel.
    Sie beeilte sich, die Schuhe zu binden und aus dem Rollstuhl zu kommen, während ihre Mutter aus dem Chaos ihres Portemonnaies einen Fünfeuroschein hervorzog und ihn dem Junge n reichte . »Non, non, non«, der Junge hob die Hände. »Un!« Er streckte de n Daumen in die Höhe. « »Was, nur einen Euro? Nein, nimm!« Sie drückte ihm das Gel d in die Hand und dann ging es zwischen den beiden hin un d her :
    »Oui! « »Non! « »Oui! « »Non! « »Maman!«, rief Gina auf Französisch, wie immer, wenn ihr e Mutter ihr total auf die Nerven ging . Nein, ihre Mutter hörte sie nicht. Stattdessen steckte sie de n Schein zurück ins Portemonnaie und holte eine Zweieuromünze hervor. »Und morgen neue Schuhe«, sagte sie laut und deutete auf ihre Sandaletten . »Der ist nicht schwerhörig«, meinte Gina, »er hat nur einen Akzent, wenn er spricht. « »DER hat einen Namen und heißt Noah. « »Und wennschon. Soll er doch zurück auf seine Arche. Ich wil l jetzt hochgehen und unter die Dusche! « Als sie endlich an der Haustür waren, hörten sie den Jungen au f Deutsch rufen: »Woher kommen Sie? « »Frankfurt«, antwortete ihre Mutter . »Komm schon!« Gina zog ihre Mutter am Arm . Die drehte sich noch einmal um und winkte dem Jungen fröhlich zu. »Siehst du«, ihr triumphierendes Lachen nervte gewaltig, »er kann außer Französisch und Arabisch sogar Deutsch . Aber sein Französisch ist eindeutig besser als deines, obwohl e s mit Sicherheit nicht seine Muttersprache ist.« Und mit eine m kurzen Seitenblick auf Gina fügte sie hinzu: »Im Gegensatz zu dir!«
    •

Drei
    U nd du kommst wirklich alleine klar?« Gina antwortete nicht, sondern verfolgte ihre Mutter mit dem Handy. »Lass das!«, sagte diese und hielt die Hand vor die Linse. »Ich will nicht gefilmt werden.« Sie stand vor dem Spiegel und zog das elegante schwarze Kleid über die Hüften. Dann
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