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Märchen

Märchen

Titel: Märchen
Autoren: Astrid Lindgren
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sie immer so nett ausgesehen hatte. So sah sie jetzt übrigens auch noch aus.
    »Sie ist schon lange hier bei uns im Land der Dämmerung«, sagte Herr Lilienstengel.
    Ich brachte die Straßenbahn in Gang. Es ging so leicht, als ob es gar nichts wäre. Sie ratterte los, daß es nur so um sie pfiff.
    An keiner Haltestelle hielten wir an, denn es war niemand, der aussteigen wollte. Sie fuhren alle nur mit, weil es Spaß machte, und niemand wollte an einer bestimmten Haltestelle aussteigen.

    Ich fuhr über die Westbrücke, da sprang die Bahn plötzlich aus dem Gleis und ins Wasser.
    »Was nun?« schrie ich.
    »Spielt keine Rolle«, sagte Herr Lilienstengel. »Spielt gar keine Rolle im Land der Dämmerung.«
    Die Straßenbahn fuhr im Wasser beinah noch besser. Es machte richtig Spaß, sie zu steuern. Wir landeten an der Nordbrücke, und da sprang die Bahn an Land. Immer noch waren keine Menschen zu sehen.
    Die leeren Straßen und dazu diese geheimnisvolle blaue Dämmerung waren sehr seltsam. Herr Lilienstengel und ich stiegen am Schloß aus. Wer die Straßenbahn weitersteuerte, weiß ich nicht.
    »Jetzt gehen wir hinauf und besuchen den König«, sagte Herr Lilienstengel.
    Ich dachte natürlich, er meinte den gewöhnlichen König. Aber das war ein Irrtum. Wir gingen durch ein Tor, eine Treppe hinauf und in einen großen Saal hinein. Dort saßen auf zwei goldenen Thronsesseln ein König und eine Königin. Der König trug ein Gewand aus Gold und die Königin ein Gewand aus Silber.
    Und ihre Augen - nein, niemand kann ihre Augen beschreiben.
    Wenn sie mich damit ansahen, lief es mir wie Feuer und Eis den Rücken entlang.
    Herr Lilienstengel verneigte sich tief und sagte:
    »O König vom Land der Dämmerung, o Königin vom Lande, Das Nicht Ist! Darf ich Euch Göran Petterson vom Karlbergsweg vorstellen?«
    Der König sprach mit mir, es hörte sich an, als rausche ein riesiger Wasserfall. Aber ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat. Um den König und die Königin herum standen eine Menge Hofdamen und Hofherren. Plötzlich begannen sie zu singen.
    Und es war ein Gesang, wie er in der Stadt Stockholm wohl noch nie zu hören gewesen ist. Man hatte das Gefühl, als liefe einem noch viel mehr Feuer und Eis den Rücken entlang, wenn man ihn hörte.
    Der König nickte und sagte:
    »So singen wir im Land der Dämmerung. So singen wir im Land, Das Nicht Ist.«
    Eine Weile später standen Herr Lilienstengel und ich wieder unten an der Nordbrücke.
    »Nun bist du bei Hofe eingeführt«, sagte Herr Lilienstengel.
    Und dann sagte er: »Jetzt fahren wir zum Volkspark. Hast du Lust, einen Autobus zu fahren?«
    »Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte ich. Denn ich glaubte, das sei sicher schwerer als eine Straßenbahn zu steuern.
    »Spielt keine Rolle«, sagte Herr Lilienstengel. »Spielt gar keine Rolle im Land der Dämmerung.«
    Und - wupps! - stand da schon ein roter Autobus. Wir stiegen ein, und ich setzte mich ans Steuer und trat auf den Gashebel.
    Ich konnte ganz großartig fahren. Ich fuhr schneller, als jemals ein Mensch vor mir gefahren ist, und hupte, daß es sich anhörte, als sei es ein Krankenwagen. Wenn man in den Volkspark hinein-kommt, liegt linker Hand ein Stück den Hügel hinauf der Seerosenhof. Es ist ein hübscher alter Bauernhof mit einem Rasen davor. Früher lag dieses Gehöft einmal in Härjedalen.
    Als Herr Lilienstengel und ich zum Seerosenhof kamen, saß dort auf der Vortreppe ein Mädchen. Wir gingen auf sie zu und begrüßten sie.
    »Guten Tag, Kristina«, sagte Herr Lilienstengel.
    Kristina war sehr eigenartig angezogen.
    »Warum trägt sie solche Kleider?« fragte ich.
    »Solche Kleider trugen sie früher in Härjedalen, als Kristina auf dem Seerosenhof wohnte«, erklärte Herr Lilienstengel.
    »Früher...« sagte ich. »Wohnt sie denn jetzt nicht hier?«

    »Nur in der Dämmerstunde«, antwortete Herr Lilienstengel.
    »Sie gehört zum Volk der Dämmerung.«
    Von drinnen war Musik zu hören, und Kristina bat uns hinein.
    Im Haus waren drei Musikanten, die Geige spielten, und viele Menschen, die tanzten. Im offenen Kamin brannte ein Feuer.
    »Was sind das hier für Leute?« fragte ich.
    »Sie haben in alten Zeiten auf dem Seerosenhof gewohnt«, sagte Herr Lilienstengel. »Und jetzt treffen sie sich hier in der Dämmerstunde und sind fröhlich.«
    Kristina tanzte mit mir. Denkt nur, daß ich so gut tanzen konnte, ich, mit meinem Bein!
    Nach dem Tanz aßen wir lauter gute Sachen, die auf einem Tisch
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