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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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einbilden, den Weißen Hirsch schießen zu können, und schließlich mit hängender Zunge am Bach sitzen, selbst weidwund.« Sie kicherte. »Nein, diese waren anders. Dunkle, grausame Männer, mit nie gesehenen Waffen gerüstet, legten sie an auf alles, was Leben hatte. Alonzo beschrieb sie mir, als seien sie Wölfe. Und da er ihre Gespräche belauschte, vernahm er, daß sie verwandt waren mit jenen, die einst das Verderben auf die Große Stadt gelenkt hatten. Er hörte auch, wie sie schwuren, Brand und Axt an die Bäume zu legen und giftige Dämpfe auf die Blätter zu richten. Nicht haltgemacht hätten sie wahrlich vor den Hügeln. Aber auch der Wald hörte sie, und andere Kräfte selbst als die, über die wir Erstgeborenen verfügen, erwachten in ihm. Vieles bleibt ohne Erklärung. Aber auf einmal waren da die großen Stimmen - das dumpfe >Zurück<, das Leontine hörte, war eine von ihnen. Sümpfe entstanden, wo vorher keine waren, und ver-schluckten die mörderische Brut, Bäume legten sich krachend ihnen über den Weg, Wald spann sie ein, erstickte sie, ließ keinen entrinnen. Die fremden Jäger waren besiegt, ehe noch das Wissen um die Gefahr zu euch drang. Alonzo jubelte. - Ich streife nächtlicherweile gern durch die Höhen und Täler und tat es nun wieder. Da sah ich das Einhorn. Es schritt zierlich und voller Sanftmut zur Quelle und ging drei Nächte umher wie suchend. Es war mir aber, als suche es nicht mich, als habe es zwar eine Botschaft, aber nicht an mich, und ich wagte nicht, es zu begrüßen. Ich sagte niemandem etwas davon. Als es fort war, folgte jener reiche, strahlende Sommer, an den ihr euch wohl erinnert. Lange Zeit geschah nichts. Die Welt war wie immer, und mein und des Waldes Hüter äugte scharf aus nach den vertriebenen Wesen oder den dunklen Jägern. So schlimme Botschaften oft auch von jenseits des Wassers nach Mittelerde drangen - nie berührten jene Füße wieder die Grenzen unserer Bäume. Wir vergaßen. Die Jahre ziehn hin in Licht und Schatten, wir leben. Nun ist seit ein paar Tagen das Einhorn wieder da. Zu ihm sind die Kinder gegangen. Vielleicht hat es Botschaft für sie.«
    Die drei saßen wie verzaubert unterm Gesang der melodischen Stimme. Auch die Schrecken, die sie kündete, schienen gedämpft in diesem Klang.
    Das Feuer war weit heruntergebrannt, es flackerte unruhig, als wolle es nicht verlöschen, und warf nur noch einen glosenden Schein über die helle Gestalt.
    »Das Einhorn . . .«, flüsterte Leontine.
    Diana hob die Hand. »Fragt nicht. Ich weiß nichts.«
    »Und seine Botschaft?«
    »Vielleicht ist sein Erscheinen schon die Botschaft? Ich weiß nichts.«
    »Und jene Dunklen?« ließ sich Adalbert vernehmen. »Kämen sie wieder, so müßten sich Elb und Zwerg und Mensch zusammentun, um die Hügel zu retten.«
    »Höchst ehrenhafter Zwerg«, sagte die Frau, und es klang kaum spöttisch, »so war es früher, und so wird es dereinst sein. Noch schützt euch der Wald.«
    »Und wenn der Wald schwindet?«
    »Einmal schwindet alles, so scheint es. Aber es scheint nur so. Es wandelt sich. Die Tromba erschallt, und wir werden verwandelt - heißt es nicht so?« Sie lachte auf. »Aber ich weiß nichts.«
    »Weiseste der Elbenfrauen, schöne Aina-Aglar . . .«, hub der Zwerg wieder an, aber sie erhob sich.
    »Gute Nacht. Man ruft mich draußen. Alles ist für euern Schlaf bereitet.«
    Sie schlüpfte aus der Tür. Leontine trat ans Fenster, ihr nachzusehen. Aber da war nur ein Nebelstreif im Mondlicht, der fast die Gestalt einer weißen Hirschkuh hatte.
    Der Morgen begann frühzeitig und mit Gelärm. Alonzo, der Waldhüter, war von nächtlichem Rundgang zurückgekehrt und polterte, brummelte und sang durch das kleine Haus. Die drei Gäste rieben sich den Schlaf aus den Augen.
    »Wo ist mein Pferd?« fragte Leontine und sah durchs Fenster.
    »Wo ist mein Stein?« fragte Adalbert und sah zum Kaminsims.
    »Wo sind meine Kinder?« fragte Donna und sah vor sich hin.
    »Um hübsch der Reihe nach zu antworten«, erwiderte der Hausherr heiter, »das Pferd steht neben meinem im Stall und frißt ihm den Hafer weg, der Stein liegt eingewickelt da, wo er gestern lag, und was diese Gören angeht. . .«, er faßte in eine seiner Taschen, holte einen Zettel hervor und las stirnrunzelnd die Namen ab: »Norman Narziss, Magelone und Federico Ruggiero nähern sich unserem Teil des Waldes. Ich hab dem wilden Mädchen, meiner Frau, Bescheid gesagt. Sie erwartet euch draußen, so geht ihnen nur
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