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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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helfen darf: Meine Tochter Leontine ist genau siebzehn Jahre alt.« Dabei reckte er stolz den faltigen Hals und sah aus wie ein Truthahn, der sein Revier verteidigt.
    »Ich weiß«, sagte der andere mit einem Seufzer. »Ich weiß nur zu gut, daß sie siebzehn ist. Aber hören Sie mich an, Exzellenz, ich bitte Sie. Wie Sie wissen, habe ich mit Musik zu tun, und auf eine Weise, daß es mir bei den Sterblichen Ehre einbringt. Zu jener Zeit nun, von der ich rede, sang ich vor den Ohren eines Königs der Menschen Lieder und Arien des Meister Sagittarius in einem von Fackeln erleuchteten Hofe, und rundum standen die schönen neuen Bildwerke aus Stein. Nachdem ich meine Kunst beendet hatte und, mit viel Beifall und goldener Ehrenkette belohnt, noch umherging zwischen den Statuen, fesselte eine wundersame Figur aus Sandstein meinen Blick. Der Körper der Gestalt war der einer liegenden Löwin, aber anstelle des Katzenkopfes wuchs ein vollkommener Frauenoberleib hervor, geschmückt mit Perlenkränzen über den nackten Brüsten und Ketten an den vollen Armen, und über diesem Körper schwebte in zierlicher Schräghaltung das Haupt, dessen Gesicht mich gleichzeitig in Bestürzung und Wonne versetzte, so daß ich die feine Gesellschaft, in der ich lustwandelte, völlig vergaß und zum Verwundern des illustren Hofs wie ein Trunkener auf das steinerne Bild zustürzte, um es zu umarmen. Ach, welche Verzückung vermögen leicht schräggestellte Augen und ein voller Mund mit nach oben gebogenen Winkeln hervorzubringen, wie hinreißend ist eine runde Stirn, von der energisch die wohlgeformte Nase fortstrebt! Bevor ich ins Schwärmen gerate - Exzellenz, die Sphinx war Ihre Tochter. Ich liebte sie sofort und vergaß sie auf der Stelle wieder, als ich eine andere Frau sah, und als ich die vergessen hatte, wieder die nächste und so fort. Aber zwischen all den Schönen liebte ich immer nur eine und sie immer erneut: Das war das Bildwerk im königlichen Garten, halb Weib, halb Löwin, und mit den Jahrhunderten wuchs meine Sehnsucht nach ihr. Nun endlich bin ich in Leontine dem Urbild jener Statue begegnet. Es ist ihr Gesicht, Zug um Zug. Und nun ist es so stark, daß ich fürchte, nicht mehr vergessen zu können, welches doch eine der großen Segnungen ist, über die mein Volk verfügt, und ich bin nicht geschaffen, Liebesschmerzen zu erleiden - auch habe ich in meinem Beruf, wie Sie wohl wissen, viel zu tun und kann mir dergleichen nicht leisten. So bitte ich Sie denn noch einmal in aller Form um die Hand Ihrer Tochter.«
    Er leerte sein Wasserglas. Darenna hatte während der Erzählung vier oder fünf Kristallbecher der scharfen Flüssigkeit heruntergestürzt und glühte immer feuriger.
    Der Magier knarrte und schnarrte wie ein Uhrwerk, das man aufzieht, räusperte sich mehrmals, ohne daß seine Stimme dadurch an Klarheit gewann, und krächzte schließlich: »Narrenpossen und nichts, woran ich mich halten könnte. Ich hätte es wissen sollen, daß nichts Besseres zu erwarten ist. Also gut, Sie haben sich Leontine in den Kopf gesetzt, aber das Mädchen hat den ihrigen, und falls es Ihnen nicht gelingt, sie zu gewinnen, wüßte ich nicht, was ich dabei soll. Wie kommen Sie darauf, sich an mich zu wenden?«
    »Leontine selbst nannte es als Bedingung«, erwiderte Klinger widerstrebend.
    »Oho!« rief Darenna, und seine Augen belebten sich. »Das ist freilich eine andere Sache! Sie selbst? Nun, dann wird sie sich ja wohl etwas dabei gedacht haben? Sollte ihr daran gelegen sein, daß der Alte dem Wirbelwind und Luftikus von der anderen Seite des Grundes ein bißchen auf den Zahn fühlt? Schön, schön. - Sie unterwerfen sich jeder Prüfung?«
    »Jeder. Wenn Leontine es will.«
    »Sie will es, Verehrter, sonst hätte sie Sie niemals zu mir geschickt. Sie kennt mich und kennt Sie.«
    »Still«, unterbrach ihn der andere. »Ist das nicht das feine Geklingel ihrer Fußspange mit dem Glöckchen daran, da auf dem Gang im Garten? So hören Sie doch!«
    »Sie hören das Gras wachsen, das ist ja bekannt«, erwiderte Darenna giftig. »Nichts ist da, alles nur Phantasie und Schneegestöber. Statt die Ohren für Fußglöckchen zu schärfen, passen Sie lieber auf, was ich Ihnen zu sagen habe. Also nochmals: Sie unterwerfen sich meinen Weisungen, da Sie von Leontine dazu verpflichtet wurden?« Und, da Klinger nickte, mit einem Stecknadelblitzen seiner hellen Augen: »So erfahren Sie als erstes: Das Mädchen ist gar nicht meine Tochter!«

Klingers Haus
    Den
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