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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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beobachten. Lange stand er, das Auge gegen das Okular seines großen Fernrohrs gepreßt, drehte an Schräubchen, bewegte Rädchen, versenkte sich in Rechenaufgaben, die er einer Maschine, nicht größer als ein Schmuckkästchen, zur Lösung anvertraute. Das Gerät mit den vielen Knöpfen gab ihm unverzüglich die Antworten, die er erwartete, und mit den wehenden Papierstreifen, auf denen die Berechnungen notiert waren, begab er sich erneut an sein Teleskop.
    »Zeit, das Töchterchen heimzuholen«, murmelte er dann und trat zu einer Vorrichtung, die sich in der Glas- und Chromwelt seines Observatoriums recht bizarr ausnahm: Es waren ein paar schöngeformte Gläser mit geschwungenem Rand, die im Kreis angeordnet standen um eine Vedute, einen Kupferstich, der die Stadt abgebildet zeigte von einem jener erhöhten Punkte aus, auf denen Darennas Haus stand. In das alte Bild der Stadt aber waren mit feinen weißen Linien all die Dinge eingeätzt, die sich seitdem verändert hatten, ja, kein Haus, das neu hinzugekommen war, fehlte, und die Lücken vom großen Brand waren mit Sorgfalt ein-getragen. An verschiedenen Punkten steckten silberne Nadeln aufrecht im Papier, haarfein untereinander verbunden.
    Der alte Mann löschte alle Lichter im Raum und hauchte über die gläsernen Kelche hin, da entbrannte in jedem von ihnen ein sanftes grünliches Feuer und rauschte und sang, und ein Flackern von Licht und Schatten sprang über die Vedute hin. Der Magier führte seinen Zeigefinger behutsam über das Bild, woraufhin einige der silbernen Nadeln zu vibrieren begannen. Nicht lange, und es flogen Funken hin und her von Nadelspitze zu Nadelspitze, und die sie verbindenden Fäden begannen zu glimmen und zu züngeln, als seien es Lunten.
    In kompliziertem Zickzack, als folgten sie einem unsichtbaren Strickmuster, fuhren die Hände Darennas jetzt über das flackernde Gewirr.
    Dann warf er einen Blick aus dem Fenster und lächelte befriedigt, als er ein wildes Wetterleuchten über der Stadt gewahrte. Mit gebietender Geste streckte er seine Hand nach den Gläsern aus. Da erlosch alles mit einem Schlage.
    Die ersten Regentropfen fielen, als die Exzellenz noch einmal den Garten durchquerte. Er ging zu Bett. Da hörte er Leontines Fußkettchen auf dem Gang.

Gehacktes für Donna
    Elben sind nun mal Elben.
    Als Klinger sich seinem Haus näherte, mit nachtwachen Sinnen die Spuren Leontines wahrnahm, ihre Fußtritte im Gras, ein Fädchen ihres Haars im Gebüsch hängend, den Duft ihres Zeigefingers am Klingelknopf, vergaß er den angekündigten Tugendwächter und betrat sein Haus in einem Taumel seliger Ekstase, in der Hoffnung, das Mädchen habe ihm eine Botschaft hinterlassen. Beschwingt öffnete er die Zimmertür und sah zu seiner größten Verblüffung eine zweibeinige smaragdgrüne Echse von der Größe eines zehnjährigen Kindes mit elegant gekreuzten Beinen an den Flügel gelehnt, den schuppigen Schwanz, der von inkrustierten Brillanten glitzerte, wie eine Schleppe über dem Arm.
    »Was zum Geier ist denn das?« rief er, und da erst fiel ihm ein, daß Darenna ja erklärt hatte, die Hüterin würde ihn schon erwarten. Überwältigt ließ er sich auf den Klavierhocker sinken, während das Wesen einmal kurz die gespaltene Zunge hervorschießen ließ und dann zwar lispelnd, zischelnd und kreischend, aber recht verständlich sagte: »Guten Abend, Herr Klinger. Mit einer Empfehlung von Seiner Exzellenz, ich bin Iguanadonna Saurischia, zu Ihren Diensten.«
    »Den Namen soll ich mir merken?« murmelte der Sänger und hob unwillkürlich die Hände an die Ohren, denn er war höchst empfindlich gegen Gekreisch.
    »Sie können ihn ja abkürzen«, schlug das Drachenweibchen vor.
    Klinger hatte sich inzwischen so weit gefaßt, daß er aufstand und das kleine Monster von nahem betrachtete. Darenna hatte nicht gelogen, es war ein zierliches Ungeheuer. Sein brauner Bauch hob sich in hübschem Farbkontrast vom Grün des Panzerkleides ab, die Lefzen waren weich und rosig, die ausgesprochen schönen Augen dunkel umrandet wie die von Sophia Loren. Vom Kopf zum Nacken zog sich ein scharf gezackter Kamm, dessen Spitzen vergoldet waren. Die gepflegten Vorderpfoten sahen fast wie Menschenhände aus, und die Fingernägel waren sorgfältig rot lackiert, bis auf den Daumen; der war kein Daumen, sondern ein Stachel.
    Während der Musterung schlug die kleine Drachenfrau kokett die Augen nieder. Klingers guter Humor siegte bei diesem Lidschlag über seine Verärgerung,
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