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Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
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Seele nagen. Energisch wischte sie dieses dumme Gefühl beiseite.
    »Wie geht es dir?« Aufmerksam musterte Mechthild nun ihre Tochter, und wie immer, wenn sie das tat, fühlte Katharina sich bis auf den Grund ihres Selbst durchleuchtet.
    Sie unterdrückte ihr Missbehagen. Warum nur konnte sie sich noch immer nicht von ihren alten Verhaltensweisen befreien? Seit Monaten schon lebte ihre Mutter jetzt hier in Heilig-Geist, und es gab keinen Grund mehr für Katharina, sich von ihr gefangen genommen zu fühlen. Dennoch verspürte sie auch heute wieder dieses nagende Gefühl von Unzulänglichkeit, das Mechthilds Gegenwart stets in ihr auslöste.
    »Gut«, beantwortete sie die Frage. Und es stimmte. Sie fühlte sich tatsächlich gut. Im Moment wenigstens.
    Unwillkürlich wanderte ihre Hand zu ihrem Bauch, doch sie riss sich zusammen. Ängstlich lauschte sie in sich hinein. Keine Spur von Schmerzen oder rätselhaften Krämpfen.
    Sie atmete tief durch. Der Weihrauch kratzte noch immer in ihrer Kehle, und diesmal gestattete sie sich zu husten. Das Geräusch klang in der hallenden Stille der Kapelle überlaut und fehl am Platze.
    Katharina zog den Kopf ein. »Warum wolltest du dich hier mit mir treffen?«
    Mechthild besaß im Pfründnerinnenhaus des Spitals ein eigenes Zimmer. Gewöhnlich trafen Katharina und sie sich dort, denn es war das Einfachste. Mechthilds Beine waren seit einer schweren Krankheit, die sie vor vielen Jahren überfallen hatte, gelähmt. Irgendjemand musste sie also hierher in die Kapelle getragen haben.
    »Ich hatte einfach das Bedürfnis, meine Kammer für eine Weile zuverlassen.« Mechthilds Blick ruhte auf einer hölzernen Statue, die in einer Nische seitlich vom Altar stand. Eine ungefähr armlange Madonna mit einem wohlgenährten Jesuskind auf dem Arm und einem vergoldeten Heiligenschein, der auf Katharina durch seine schiere Größe allzu protzig wirkte. Ihr gefiel das Gegenstück besser, das genau auf der anderen Seite der Kirche ebenfalls in einer Nische stand. Es zeigte auch die Muttergottes, jedoch nicht als Madonna, sondern in der Pose der trauernden Mutter mit ihrem gekreuzigten Sohn auf dem Schoß. In dem Gesicht dieser Statue glaubte Katharina oftmals sich selbst wiederzuerkennen.
    Sie unterdrückte ein Schaudern. Was sagte es über sie aus, dass sie die Schmerzensmutter der freundlichen und glücklich wirkenden Madonna vorzog?
    Eine kühle Hand legte sich auf ihren Unterarm. Mechthild hatte gesehen, wohin Katharina geschaut hatte. In ihren Augen stand Missbilligung, aber sie schwieg.
    Wahrscheinlich hatte sie dieses Treffen hier in der Kapelle mit voller Absicht arrangiert. Seit sie in Heilig-Geist lebte, war sie zu einer überaus fleißigen Kirchgängerin geworden – und zu einer noch fleißigeren Beichtgängerin darüber hinaus.
    Für eine Weile sagten sie beide nichts.
    Katharina spürte dem Widerwillen in ihrem Herzen nach, und jetzt wusste sie auch, woher er rührte. Mechthild hatte sie nicht hierhergebeten, weil sie sich in ihrer Kammer langweilte, sondern vielmehr, weil sie hoffte, Katharina auf diese Weise ein wenig öfter dazu zu bringen, einen Fuß in eine Kirche zu setzen.
    »Seit Egberts Tod …«, begann ihre Mutter.
    Katharina hob abwehrend die Hand. »Lass es gut sein!«, warnte sie. Sie hatte nicht vor, sich auf eine Diskussion über ihren verstorbenen Mann einzulassen. Himmel, sie schaffte es ja gerade einmal so, nicht in Tränen auszubrechen, wenn sie nur an ihn dachte. Denn der Gedanke an Egbert Jacob führte sie unweigerlich zu einem anderen Mann.
    Zu Richard.
    Rasch wandte Katharina ihre Aufmerksamkeit den beiden flackernden Kerzen zu, die rechts und links von der Pietà aufgestellt waren. Warum wohl brannten neben der Madonna keine Kerzen?
    Sie rieb sich Stirn und Nasenrücken. »Was hast du heute gemacht?«, versuchte sie, das Gespräch von Egbert fort und auf weniger schmerzliche Dinge zu lenken.
    Mechthild musterte Katharina einen Augenblick lang, doch dann ging sie auf den Themenwechsel ein. Sie verdrehte die Augen gen Himmel und lächelte dabei. »Zwei Stunden am Bett von dieser Frederike gesessen und mir ihre frommen Litaneien angehört. Es kam mir vor wie ein ganzer langer Tag, das kannst du mir glauben!«
    Frederike Mummenhoff war neu in Heilig-Geist, das wusste Katharina von früheren Erzählungen ihrer Mutter. Seit ungefähr zwei Wochen belegte die Siebzigjährige eines der Ewigbetten des Spitals, weil eine schwärende Wunde an ihrem Fuß nicht heilen wollte
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