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Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
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heiligen Hieronymus und seiner zerzausten Feder!«, hörte Katharina den Patrizier murmeln. »Der Boden gibt nach!«
    So war es. Lange Risse zeigten sich in dem Erdreich, auf dem das Gerüst stand. Katharina sah, wie zwei Maurergesellen, die noch kurz zuvor damit beschäftigt gewesen waren, die Wände der neuen Krankenstube hochzuziehen, von dem schwankenden Gerüst sprangen. Einer von ihnen landete sicher und wohlbehalten mit einem lauten Platschen im Wasser des Flusses. Der andere jedoch, der nicht genug Halt unter den Füßen gefunden hatte, um sich weit genug abzustoßen, prallte auf dem erdigen Abhang des Bauhügels auf. Katharina glaubte zu sehen, wie sein rechtes Bein unnatürlich verdreht wurde. Sie hörte den Schmerzensschrei des Mannes, dann wurde der Maurer herumgewirbelt und rollte den schlammigen Abhang hinunter wie ein Mehlsack.
    Leise zog Katharina Luft durch die Zähne. Sie hatte genug Erfahrung als Heilerin, um zu wissen, dass das Bein des Mannes gebrochen war. Kurz verspürte sie den Impuls, zu ihm zu eilen, doch zwei Dinge geschahen fast gleichzeitig und hielten sie davon ab. Zum einen brach das Gerüst nun endgültig in sich zusammen. In einem wilden Gewirr von Holzstangen und zerrissenen Seilen ging es zu Boden und polterte denselben Abhang hinunter, den eben noch der Maurer genommen hatte. Und im gleichen Moment rannten mehrere Männer zu der Unglücksstelle. Einer davon, das konnte Katharina von ihrem Standpunkt aus erkennen, war Carl Krafft, der Spitalarzt von Heilig-Geist. In dem Geschrei und Gejammer, das dem Unglück folgte, wirkte er mit seiner hochgewachsenen, massigen Gestalt wie ein Fels in der Brandung.
    Gut. Dem Verunglückten würde also geholfen werden.
    Katharina senkte den Kopf, sandte ein kurzes Fürbittgebet für den armen Teufel gen Himmel und setzte ihren Weg schließlich fort.
    »Was müssen sie die neue Sutte auch ausgerechnet über den Fluss bauen!«, hörte sie den Patrizier noch sagen. Dann erreichte sie die Kapelle des Spitals, und die aufgeregten Stimmen, das Rufen und Geschrei blieben hinter ihr zurück, als sich die niedrige Pforte des nördlichen Seitenschiffs hinter ihr schloss.
    Die Stille, die sie umfing, war nach der Aufregung und dem Brüllen der Männer draußen umso drückender. Katharina kam es vor, als verdichtete sich die Luft um sie herum schlagartig zu etwas Lebendigem, das sie daran hindern wollte, ihren Weg fortzusetzen. Es liegt am Weihrauch!, redete sie sich ein und schlug ein rasches Kreuz über sich. Der Duft des heiligen Harzes kratzte hinten in ihrer Kehle und reizte sie zum Husten.
    Sie unterdrückte es.
    So schnell sie vermochte, eilte sie zwischen den engstehenden Kirchenbänken nach vorn zum Altar. Ihr Blick streifte dabei einen gebeugt dasitzenden alten Mann, der die Hände im Schoß gefaltet hatte und mit trüben Augen das große Kreuz auf dem Altar anstarrte. Von Ferne setzte heller Gesang ein, der Chor der armen Scholaren, die an Heilig-Geist lebten und irgendwo in dem weitläufigen Gemäuer einen Hymnus übten.
    Katharina fragte sich, was der alte Mann wohl dachte.
    Sie erreichte die Chorschranke im vorderen Teil der Kirche, kurz blickte sie auf den massiven Beichtstuhl aus schwarzem Holz, der rechts vom Altar stand. Dann entdeckte sie ihre Mutter.
    Mechthild Augspurger saß in der vordersten Kirchenbank, ganz an deren Rand, so dass die Schatten, die die niedrigeren Seitenschiffe warfen, sie in ihrer schwarzen Witwenkleidung beinahe verschluckten. Sie hatte die Hände locker in ihrem Schoß liegen, ihre Beine waren von einer grauen Decke umhüllt.
    Sie war also schon länger hier.
    Katharina biss die Zähne zusammen. Dann trat sie näher heran. »Guten Morgen, Mutter!«, sagte sie.
    Mechthild schien sich zu freuen, sie zu sehen. Ein breites Lächeln glitt über ihre Züge. »Kind!« Sie nahm eine Hand aus dem Schoßund deutete auf die Bank neben sich. »Was war das für ein Lärm eben draußen?«
    Katharina ignorierte die Aufforderung, sich zu setzen, und blieb stehen. »Das Gerüst an der neuen Sutte ist zusammengebrochen.«
    »Oje! Hoffentlich ist niemandem etwas passiert!«
    »Es sah so aus, als hätte sich einer der Maurer das Bein gebrochen. Aber Dr. Krafft war sofort zur Stelle.« Jetzt setzte sie sich doch.
    Mechthild nickte. »Dann ist er in guten Händen.« Sie schätzte den Spitalarzt sehr, das wusste Katharina, und wie jedes Mal, wenn sie damit konfrontiert wurde, spürte sie die Eifersucht wie ein kleines böses Tier an ihrer
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