Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
zittern ließ, als er nach dem Dolch an seinem Gürtel griff und ihn hervorzog. Jetzt war der Moment gekommen!
    Katharina ging an einer Einmündung vorbei, an der eine winzige, namenlose Gasse auf die Schustergasse stieß. Er streckte die Hand nach ihrer Schulter aus, um sie zu packen. Mit der anderen umfasste er den Dolchgriff fester und machte einen großen Schritt vorwärts. Hinter sich glaubte er ein hastiges Echo zu hören. Er blieb stehen, und sein Arm sank herunter.
    Katharina schien nichts bemerkt zu haben. Ohne sich umzuwenden, setzte sie ihren Weg fort.
    Er wollte ihr nacheilen, doch er wurde nach hinten gerissen. Er wollte aufschreien, aber es ging nicht, denn ein scharfer Schmerz fuhr quer über seine Kehle, und höllische Qualen fraßen sich von dort aus bis in seinen Nacken. Warmer Atem strich ihm am Hals entlang, eine Stimme war ganz dicht an seinem Ohr. »Zum ewigen Schlaf sollst du einschlafen, spricht der Herr. Wie ein Lamm auf der Schlachtbank.«
    Er fuhr herum. Der Dolch in seiner Hand traf auf Widerstand. Der Angreifer stieß einen gepeinigten Schrei aus, getroffen taumelte er rückwärts, schrie auf. »Du Mistkerl!«
    Er selbst hingegen versuchte, Luft in die Lungen zu saugen. Es ging nicht. In seinem Kopf explodierten rote Sterne. Etwas strömte aus seinem Hals, etwas, das ihm warm und klebrig über die Brust lief. Er wollte schreien, aber alles, was er herausbrachte, war ein Gurgeln. Seine Lungen gierten nach Luft, wie sein Körper eben noch nach Katharinas Leib gegiert hatte.
    Er spürte, wie sich seine Erektion verflüchtigte, und dann, kurz bevor er das Bewusstsein verlor, entleerte sich seine Blase.
    Dann wurde er losgelassen. Kraftlos sank er zu Boden.
    Den letzten Satz, den sein Mörder ihm zuzischte, hörte er nur noch wie durch einen Schleier. »Das war dafür, dass du es gewagt hast, dich Katharina zu nähern!«
    Er war bereits tot, als seine Wange in der Blutlache zu liegen kam.

1. Kapitel
    Drei Wochen später
    Herbstgoldenes Laub wehte Katharina Jacob um die Füße, als sie aus einer der Gassen des Lorenzer Stadtviertels kam und auf die hölzerne Brücke zusteuerte, die die Pegnitz ganz in der Nähe des Heilig-Geist-Spitals überquerte. Ein scharfer Wind wehte durch Nürnbergs Straßen, über die weiten, offenen Plätze, und hier unten, am Flussufer war er noch stärker als zwischen den schützenden Mauern der Stadt. Mitten auf der Brücke blieb Katharina stehen und reckte die Nase in die Luft. Sie glaubte, den nahenden Winter riechen zu können. Ein Schwanenpärchen schwamm direkt unter ihr hindurch, Seite an Seite, die Hälse zu eleganten Bögen geschwungen. Katharina starrte sie einen Moment lang an. Dann zog sie fröstelnd ihren dunklen Mantel enger um sich und setzte ihren Weg fort.
    Sie erreichte das nördliche Flussufer, und noch während sie sich nach links wandte, brach ein wahrhaft höllisches Getöse über sie herein. Es klang, als seien die Grundfesten des Himmels selbst erschüttert worden, ein ohrenbetäubendes Knirschen wurde laut, dann ein Ächzen, das sich anhörte wie der Schmerzenslaut eines sehr großen sterbenden Tieres.
    Erschrocken hielt Katharina inne.
    Sie war nicht die Einzige. Rings um sie herum erstarrten alle, die wie sie ihrem Tagwerk nachgingen. Ein Junge von vielleicht acht oder neun Jahren machte einen Satz zur Seite, als fürchte er, von Gottes Zorn persönlich erschlagen zu werden. Ein Patrizier, der sich mit einem Diener unterhalten hatte, runzelte die Stirn. Eine ältere, dickliche Frau riss erschrocken die Hände vors Gesicht, wobei sie den Einkaufskorb, den sie bis eben getragen hatte, fallen ließ. Gelbe Rüben, einige rotwangige Äpfel und ein Stück in blutfleckiges Leinen eingeschlagenes Fleisch rollten in den Dreck der Gosse.
    Katharina verspürte einen Stich des Bedauerns über diese Verschwendung, doch dann erklang das Knirschen ein zweites Mal. Diesmalverwandelte es sich noch schneller in das tiefe Ächzen, und bevor Katharina begreifen konnte, woher es rührte, rief der Junge:
    »Das Gerüst! Seht doch!«
    Katharinas Blick eilte zu der noch lange nicht fertigen Fassade der neuen Sutte, der neuen Krankenstube des Spitals. Ungefähr zweieinhalb Mannslängen hoch ragten die Mauern über einer Konstruktion aus Baumstämmen und aufgeschütteter Erde, die den sumpfigen Untergrund des nahen Flussufers befestigen sollte. Das Baugerüst, das an dem Mauerwerk verankert war, schwankte. Es sah aus, als habe ein Erdbeben es erfasst.
    »Beim
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher