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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman
Autoren: Paula McLain
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wusste nicht genau, wie ich mich allein befreien konnte.
    Wenn ich etwa eine Stunde lang ganz passabel Chopin gespielt hatte, ließ ich mich aufs Sofa oder auf den Teppich fallen und spürte, wie alle Energie, die ich beim Spielen besessen hatte, meinen Körper verließ. Es war kaum zu ertragen, sich so leer zu fühlen, als existierte ich gar nicht. Warum konnte ich nicht glücklich sein? Und was war Glück überhaupt? Konnte man es vortäuschen, wie Nora Bayes behauptete? Konnte man sein Wachstum beschleunigen, wie wenn man Frühlingsblumen in der Küche zog, oder sich auf einer Party in Chicago daran lehnen und es sich wie eine Erkältung einfangen?
    Ernest Hemingway war kaum mehr als ein Fremder für mich, doch er schien von Glück geradezu durchdrungen. Ich konnte keinerlei Angst in ihm erkennen, nur Lebendigkeit und Intensität. Seine Augen leuchteten in alle Richtungen, und sie funkelten mich an, als er sich zurücklehnte und mich mit einer Drehung schwungvoll an sich zog. Er hielt mich eng an seine Brust gedrückt, und ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Haar und Nacken.
    »Seit wann kennst du Stut?«, wollte er wissen.
    »Wir sind in St. Louis zusammen zur Schule gegangen, ins St. Mary’s Institute. Und du?«
    »Du willst meinen ganzen Werdegang erfahren? Da gibt’s nicht viel zu sagen.«
    »Nein«, lachte ich. »Erzähl mir von Kate.«
    »Die Geschichte würde ein ganzes Buch füllen, und ich bin mir nicht sicher, ob ich derjenige bin, der es schreiben sollte.« Sein Tonfall war leicht und immer noch neckend, doch er hatte aufgehört zu lächeln.
    »Was meinst du damit?«
    »Nichts«, erwiderte er. »Die kurze Version lautet, dass unser beider Familien ein Sommerhaus in der Nähe von Petoskeybesitzen. Das ist in Michigan, für eine Südstaatlerin wie dich.«
    »Lustig, dass wir beide mit Kate aufgewachsen sind.«
    »Ich war zehn, sie achtzehn. Sagen wir lieber, ich war froh,
neben
ihr aufzuwachsen. Mit einem hübschen Ausblick.«
    »Du warst, mit anderen Worten, in sie verliebt.«
    »Nein, das sind schon die richtigen Worte«, sagte er und wandte seinen Blick ab.
    Ich hatte offensichtlich einen empfindlichen Nerv berührt und wollte diesen Fehler nicht wiederholen. Ich mochte ihn fröhlich und lachend und unbeschwert. Im Grunde sprach ich so stark auf ihn an, dass ich schon damals wusste, dass ich vieles tun würde, damit er glücklich blieb. Ich wechselte also schnell das Thema.
    »Kommst du aus Chicago?«
    »Oak Park. Das ist direkt um die Ecke.«
    »Für eine Südstaatlerin wie mich.«
    »Exakt.«
    »Du bist jedenfalls ein prima Tänzer, Oak Park.«
    »Du auch, St. Louis.«
    Als das Lied zu Ende war, ließen wir einander los, um wieder zu Atem zu kommen. Ich stellte mich an die Tür von Kenleys langgestrecktem Wohnzimmer, während Ernest rasch von einem Haufen Bewunderinnen umringt war. Sie kamen mir furchtbar jung und so selbstsicher vor mit ihren kurzgeschnittenen Haaren und rotgeschminkten Wangen. Ich hatte mehr etwas von einem viktorianischen Überbleibsel als von einem Flapper. Mein Haar war immer noch lang, und ich trug es im Nacken zusammengebunden, aber immerhin schimmerte es in sattem Kastanienbraun, und auch wenn mein Kleid nicht der neuesten Mode entsprach, fand ich, dass meine Figur das wieder wettmachte. Tatsächlich hatte ich mich die ganze Zeit über, in der ich mit Ernest tanzte, ausgesprochenwohl in meiner Haut gefühlt – sein Blick war ja schließlich auch voller Anerkennung gewesen! –, doch als er nun inmitten all dieser lebhaften Frauen stand, schwand mein Selbstbewusstsein.
    »Du scheinst dich ja gut mit Nesto zu verstehen«, äußerte Kate, die plötzlich neben mir auftauchte.
    »Kann sein. Lässt du mich den Rest davon trinken?« Ich deutete auf ihr Glas.
    »Es ist ziemlich heftig.« Sie verzog das Gesicht und reichte mir das Getränk.
    »Was ist das denn?« Ich führte den Rand des Glases unter meine Nase, und der Geruch von ranzigem Benzin stieg auf.
    »Irgendwas Selbstgemixtes. Little Fever hat es mir in die Hand gedrückt. Ich frage mich, ob er es vielleicht in seinem Schuh zusammengebraut hat.«
    Vor einer langen Fensterfront hatte Ernest damit begonnen, in einem dunkelblauen Militärumhang, den jemand irgendwo ausgegraben hatte, auf und ab zu marschieren.
    »Das ist ja mal ein Outfit«, bemerkte ich.
    »Hat er dir nicht erzählt, dass er ein Kriegsheld ist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Er wird es noch früh genug tun.« Ihr Gesichtsausdruck blieb reglos, aber
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