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Macho-Mamas

Titel: Macho-Mamas
Autoren: Michèle Binswanger , Nicole Althaus
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mit angezogener Handbremse von einem Regelwerk leiten ließen, das nur Dorfstraßen für sie vorsah.
    Und diesen neuen Wind der Freiheit spürten wir schon als Mädchen. Als wir in den Siebzigern eingeschult wurden, durften unsere Mütter zum ersten Mal an die Wahlurne. Die beliebteste Familiensendung des Schweizer Fernsehens hatte zwar noch ein männliches Maskottchen, den Teleboy, aber schon zwei Jahre nach unserem Eintritt ins Fernsehalter wackelte das Girl dazu vergnüglich über den Bildschirm und läutete den Samstagabend ein. «Mädchen sind auch wer» lautete die Botschaft, mit der wir zu Hause und in der Schule imprägniert wurden. Wenn wir die Stufen des Terrassenbaus aus Sichtbeton erklommen und unsere Schülertheks neben den Pulten abstellten, waren wir voller Zuversicht und Zukunftsglauben.
    Noch regierte zwar die alte Schule weiblicher Zurichtung – die Lehrerin war «das Fräulein Meier», und wenn das Fräulein Meier weggeheiratet wurde, rückte ein Fräulein Müller nach. In den Schulbüchern wimmelte es von mutigen Polizisten, Lokführern, Bauarbeitern, Bankern und von unbremsbar emsigen Müttern, und das entsprach ganz dem Bild, das wir antrafen, wenn wir unsere Schulkameraden zu Hause besuchten. Es gab die Kinder aus den Blocksiedlungen und die Kinder, die am Berg in Einfamilienhäusern wohnten, es gab die Bauernkinder und jene, die in den Mehrfamilienhäusern an der Transitstraße groß wurden.
    Aber in allen Wohnungen wurde man von Müttern empfangen. Von netten Müttern, die literweise Coca-Cola und Sinalco hinstellten – Getränke, die zu Hause verboten waren. Von erschöpften Müttern, die in ungelüfteten Wohnungen vor sich hin welkten, aufopfernden Müttern, die mit einem Kind auf der Hüfte im Haus herumwirbelten. Und von alleinerziehenden Mütter, die ihren Kindern den Schlüssel um den Hals hängten und die wir früh schon bemitleiden lernten. Der Vater rollte, wenn überhaupt, erst gegen sieben Uhr mit seinem Golf oder Volvo oder Mercedes in die Garage, aber da saß man schon wieder bei der eigenen Familie am Tisch. Die Mütter waren fürs Haus zuständig, und von den Vätern wusste man wenig. Aber uns betraf das nicht, wir waren ja keine Mütter, sondern Mädchen, und wir standen den Jungs in nichts nach. Wir würden alles, aber sicher das Frausein einmal anders angehen.
    Die Lehrerinnen belohnten durchschnittliche Leistungen mit einem Häkchen im Heft, eine Sonne gab es für hervorragende Bemühungen, und es war für uns selbstverständlich, so viele Sonnen wie möglich zu sammeln. Wir begannen das Zeitalter der Alpha-Mädchen, lange bevor der Begriff erfunden wurde: Wir waren die letzten Mädchen in Schweizer Schulen, die noch stricken und flicken mussten, während die Buben geometrisch zeichneten, und wir waren die ersten, die nach der Revision des Lehrplans in den Siebzigern gemeinsam mit den Buben «werken» durften. Als schließlich der Gleichstellungsartikel 1981 tatsächlich bis in die Schweizer Bundesverfassung vordrang, spürten wir pubertierenden Mädchen die Konsequenzen: Wir kochten in der Hauswirtschaftsschule das Süppchen nicht mehr allein. Das prägte. Auch die Jungs.
Die Versuchskaninchen der Emanzipation
    Die Geschichte der Generation Golf ist, wenn man sie heute nochmals aufrollt und aus Frauenperspektive weiterschreibt, noch immer keine Geschichte der Revoluzzer. Wir hatten zwar dieselben Forderungen wie unzählige Frauengenerationen vor uns: Recht auf Freiheit, auf Bildung und Erwerbstätigkeit, auf gleiche Chancen. Aber wir hatten nie dafür kämpfen müssen. Die Mauern hatten andere für uns niedergerissen. Wir mussten nur noch aufräumen. Und das tun wir bis heute. Das bedeutet nichts weniger als: Wir haben die Emanzipation ausprobiert. Wir sind die Versuchskaninchen der größten sozialen Revolution des letzten Jahrhunderts. Wir sind die Generation, die versucht, aus dem aufgeladenen Begriff der Gleichstellung irgendeinen praktikablen Alltag zu basteln.
    Als wir aus dem Elternhaus aus- und in einer Wohngemeinschaft einzogen, bauten wir den Haushalt zum partnerschaftlichen Kleinstunternehmen um, in dem die Männer sich fürs Pinkeln hinsetzten und die Frauen nach dem Essen nicht mehr reflexartig aufstanden, um das Geschirr wegzuräumen. Die Geschlechterdifferenz war keine Alltagserfahrung mehr, sondern eine intellektuelle Übung in Empörungsbereitschaft, die wir mit einem Glas Wein in der Hand trotz apolitischem Hedonismus pflegten. Lohnungleichheit war
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