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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Autoren: Karin Wahlberg
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hinter sich und fühlte Claes’ Körper.
    »Gute Nacht«, murmelte sie und fiel sofort in tiefen Schlaf.
     
    Es war ungeschriebenes Gesetz, dass die Gastgeberin im Mittelpunkt stand.
    Nach Hühnerfilets und lauwarmem Kartoffelsalat präsentierte Harriet ihre Enkelkinder. Nicht in Person natürlich, aber der Fotostapel, den sie zärtlich in ihren Händen hielt, war beachtlich.
    Sie hatten sich alle über die Fotos gebeugt und sie vorsichtig am Rand angefasst, um keine unschönen Fingerabdrücke auf den Kleinen zu hinterlassen. Die beiden Mädchen lagen auf einem weißen Schaffell und trugen dunkelrosa Strampelanzüge. Die Bilder waren Hochglanzvergrößerungen.
    Sie durchzuckte ein kurzer Schmerz, aber diese intensive Gefühlsregung klang dann wieder ab, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Glaubte sie jedenfalls.
    Aber man weiß ja nie, dachte sie jetzt und weigerte sich, ihre Träume sausen zu lassen. Vielleicht geschahen ja noch Zeichen und Wunder.
    Der vorbeirauschende Verkehr auf der E 22 bildete eine dumpfe Geräuschkulisse, doch es näherte sich das Brummen eines Motors. Sie drehte sich um und erblickte ein neues erbsengrünes, chromblitzendes Auto, eines dieser kompakten, kurzen hohen Modelle, die in letzter Zeit so beliebt waren. Es überholte sie jedoch nicht, sondern blinkte und bog in den Kapellvägen ab.
    Nun hatte sie die Absperrung erreicht. Der Asphalt war aufgerissen, die Straße war von der Böschung beiseitegeschoben worden und bestand nur noch aus unregelmäßigem Kiesgrund.
    Genau wie die anderen hatte sie die Zwillinge bewundert und Komplimente gemacht. Das hatte sie aufrichtig gemeint. Sie war weder missgünstig noch eifersüchtig, denn Harriets erste Enkelkinder wollten ihr nichts Böses. Sie hatte sich kaum wappnen müssen, nachdem sich die erste Gefühlswallung gelegt hatte. Wohlwollend und ausdauernd hatte sie ohne größere Mühe lächelnd die Kleinen gelobt. Vielleicht gerade deswegen, weil diese beiden Wesen so gar nichts mit ihr zu tun hatten. Sie waren nur in ihrer Funktion als Harriets Enkelkinder interessant. Im Übrigen sahen die Mädchen aus wie die meisten Babys.
    Es war ihr wichtig, ihre Trauer mit Fassung zu tragen, und sie schleuderte sie auch nicht mehr jedem ins Gesicht. Nicht Harald, nicht den Ärzten, die ihnen nicht hatten helfen können, und auch denen nicht, die einen Kinderwagen vor sich her schoben oder ein süßes Kind in den Arm nahmen, um es zu küssen. Damit hatte sie schon seit Langem aufgehört.
    Sie sah ein, dass weder Harald noch sie Schuld daran trugen. Niemand konnte die Natur bezwingen. Sie hatten alles nur Erdenkliche versucht. Auf einer Gratwanderung zwischen Hoffnung und Verzweiflung hatten sie sich Tests, Hormonspritzen, Spermienproben und In-vitro-Fertilisationen unterzogen … Dann kam die quälende Warterei, die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Um dann festzustellen, dass es nicht geklappt hatte.
    Aber noch war es nicht zu spät.
    Sie spürte einen spitzen Stein in ihrem Schuh, hatte aber keine Lust stehen zu bleiben, sondern überquerte das abgesperrte Gelände.
    Gerade als sie auf den Pfad an der abgerissenen Mauer biegen wollte, hörte sie ein Geräusch. Es stammte von einem Menschen, vielleicht sogar von zweien.
    Wie seltsam.
    Sie hielt inne und lauschte. Handelte es sich um ein Liebespaar oder gar eine Vergewaltigung?
    Aber jetzt war nichts mehr zu hören. Nur die Blätter des Fliederbusches hinter ihr raschelten. Also setzte sie ihren Heimweg bedächtigen Schrittes und mit größter Aufmerksamkeit fort.
    Nach zwei Metern hörte sie erneut ein Jammern und blieb abrupt stehen. Angestrengt versuchte sie, genauer hinzuhören, aber ihr Herz klopfte so heftig, dass das Blut in ihren Ohren rauschte. Während sie auf den dunklen Friedhof spähte, schlüpfte sie aus ihrem Schuh und entfernte den Stein.
    Nun schienen selbst die Motorengeräusche der Ostküstenstraße verstummt zu sein.
    Das geht mich nichts an, dachte sie. Langsam stieg Furcht in ihr auf. Sie jagte sich ja selbst Angst ein, aber sie wollte in Erfahrung bringen, was los war.
    Sie ließ ihren Blick über die Stengatan, den Friedhof und das Gebüsch hinter den Gärten der Einfamilienhäuser schweifen, setzte dann jedoch ihren Weg mit rascheren und zielstrebigeren Schritten fort.
    Gerade als sie in den Tärnvägen abbiegen wollte, war das Geräusch wieder zu vernehmen. Ein verhaltener, fast schneidender Laut, der widerzuhallen schien.
    Resolut machte sie kehrt, rannte zurück.
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