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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Autoren: Karin Wahlberg
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Dann beugte sie sich vor und tätschelte behutsam Claes’ raue Wange. Flüsterte ihm zu, sie werde nun aufbrechen. Aus einem Grund, der vermutlich nicht unerklärlich, sondern eher Ausdruck der Gesetzmäßigkeit des geringsten Widerstandes war, gelang es Claes immer, Klara nachts zu überhören, wenn Veronika zu Hause war. Nicht aber, wenn sie abwesend war.
    Ein kurzer Schauer des Glücks überrieselte sie, als sie seinen Geruch einatmete. Er brummelte.
    Veronika drückte ihre Lippen an sein Ohr.
    »Eine Schussverletzung«, flüsterte sie.
    Aber auch jetzt erhielt sie nur ein Brummen zur Antwort. Als er sich endlich umdrehte und den Kopf vom Kissen hob, war sie bereits auf dem Weg nach unten.
    »Was heißt hier Schussverletzung?«, hörte sie ihn hinter sich krächzen.
    »Nichts Besonderes«, versuchte sie ihm noch so leise wie möglich zuzurufen, als sie die Haustür aufschloss und in die kühle Nachtluft hinauseilte.
    Sie schloss ihren Wagen auf, die Windschutzscheibe war von einer dünnen Raureifschicht überzogen. Sie schaltete die Scheibenwischer und das Gebläse ein und erhielt dadurch genügend freie Sicht, um auf die Straße hinausfahren zu können.
    Keine Übelkeit.
    Nicht, dass sie sie vermisst hätte. Letztes Mal war es einfach widerwärtig gewesen. Unentwegtes Erbrechen und Ekelgefühle Lebensmitteln gegenüber. Darauf konnte sie verzichten. Und trotzdem fehlte ihr etwas. Nichts ist wie das letzte Mal, dachte sie und ließ den Wagen gemächlich aus dem Wohnviertel rollen. Vielleicht stimmte ja irgendetwas nicht. Vielleicht würde es schiefgehen. Aber es kam, wie es kommen musste. So ist das Leben nun einmal, versuchte sie sich einzureden. Und dieser gesegnete Zustand war vielleicht zu viel verlangt. Zumindest bei einer Frau ihren Alters.
    Sie fuhr absichtlich nicht schneller als die vorgeschriebenen 50 durch die leeren Straßen des gepflegten, älteren Einfamilienhausviertels, das vorwiegend aus schönen, recht großen Holzhäusern bestand, die grau, gelb oder rot angestrichen waren. Einige lagen leicht erhöht auf felsigem Grund und schienen auf sie herabzuschauen.
    Sie erreichte den etwas breiteren Kolbergavägen und bog zum Stadtzentrum ab. Es würde mindestens noch zehn Minuten dauern, bis sie im Krankenhaus eintraf.
    Sie war nicht nervös, aber voller Energie. Sie war sich ihrer Fähigkeiten bewusst, aber es hatte sie viele Jahre gekostet, so weit zu kommen. Sie konnte sich unschwer die Anspannung vorstellen, der Daniel Skotte ausgesetzt war. Eine erlesene Mischung aus Aufregung und Furcht. Sie selbst empfand nunmehr inmitten von akutem Chaos ein seltsames Gefühl innerer Zufriedenheit. Genuss wäre zu viel gesagt, aber es war eine Ehre, einen Beruf auszuüben, der so viel Befriedigung mit sich brachte. Es war schon fast unanständig.
    Was sie heutzutage mit Unbehagen erfüllte, waren nicht die medizinische oder chirurgische Versorgung, die schwierigen Entscheidungen oder die unbehaglichen Szenen, die sie mit ansehen musste, sondern die grundlose Aggressivität, die ihr manche Patienten oder ihre Angehörigen entgegenbrachten. Manchmal und irgendwie immer häufiger war das eine geradezu primitive Wut aufgrund von Lappalien.
    Die Stadt schlief. Der Krankenwagen war noch nicht eingetroffen, als Skotte angerufen hatte. Nicht selten dauerte es länger als erwartet, aber die Zeit hatte ja auch die Tendenz, wie im Schneckentempo zu vergehen, wenn man bereitstand.
    Eine Schussverletzung.
    Ihre Erfahrungen damit waren begrenzt. Auch die der anderen. Zum Glück, musste man wohl fast sagen. Einmal war sie bisher dabei gewesen, und diese Operation ging sie jetzt nochmals in Gedanken durch. In chirurgischer Hinsicht war sie nicht sonderlich spektakulär gewesen. Ein Mann, der sich das Leben hatte nehmen wollen, indem er sich in den Mund schoss, war abgelenkt worden und hatte sich stattdessen in den Bauch geschossen und dabei die Milz zerfetzt, die entfernt hatte werden müssen.
    Aber Veronika hatte viel Erfahrung mit schweren Unfällen und anderen gewaltinduzierten Traumata, wie Verletzungen durch Messerstechereien und Axthiebe. Der Einzige, der ihr einfiel und mehr Erfahrung mit Schussverletzungen besaß als sie, war Holger Sundström. Er hatte eine Zeitlang jenseits des Atlantiks in den Vorstädten von New York gearbeitet. Sie konnte eine Schwester bitten, bei Holger anzurufen und in Erfahrung zu bringen, ob er zu Hause war. Für alle Fälle.
    Wenn sie sich recht erinnerte, war er es gewesen, der vor einigen
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