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Lügen in Kriegszeiten

Lügen in Kriegszeiten

Titel: Lügen in Kriegszeiten
Autoren: Arthur Ponsonby
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Volk; wenn aber die populären Lügen zu schreiend sind und der intellektuelle Teil sich darüber empört und sie durchschaut, dann mag wohl in ihm der Verdacht aussteigen (was auch der Fall war), daß auch er hinters Licht geführt wurde. Dessen ungeachtet sind die Insassen von höheren Bildungsanstalten ebenso leichtgläubig wie die Bewohner von Spelunken.
    Vielleicht hat auf den öffentlichen Geist nichts einen größeren Eindruck ausgeübt – und das bezieht sich auf alle Länder – als die der Propaganda von Intellektuellen geleistete Unterstützung. Sie verstanden es besser als die Staatsmänner, das rauhe Gewebe der Lüge in Sätze von literarischem Wert und in beredte Stellen zu hüllen. Dank ihrer literarischen Geschicklichkeit vermochten sie, manchmal mittels eines Ausdruckes falscher Unparteilichkeit, ein andermal durch rhetorische Entrüstung, dieser oder jener Lüge den Stempel unzweifelhafter Wahrheit aufzudrücken, wenngleich kein Schatten eines Beweises vorhanden war, oder zufällig wie auf eine allgemein angenommene Tatsache darauf hinzuweisen. Der beschränkteste Patriotismus konnte als edel, die gemeinsten Beschuldigungen als ein entrüsteter Ausbruch des Humanitätsprinzips, die niederträchtigsten und rachsüchtigsten Ziele als Idealismus dargestellt werden. Alles, was den Soldaten zum Weiterkämpfen bewegen konnte, galt als rechtmäßig.
    Die wahnsinnige Werbetätigkeit der Geistlichkeit mittels Kriegspropaganda machte auf das Volk einen so tiefen Eindruck, daß darüber weiter nichts gesagt zu werden braucht. Die wenigen, die mutig davon Abstand nahmen, waren gebrandmarkte Männer. Die daraus sich ergebende und bezeichnende Einbuße an geistigem Einfluß der Kirche ist an und für sich ein genügender Beweis der Reaktion gegen den in der Zeit der Not begangenen Verrat an den Grundlehren des Christentums seitens jener, denen die sittliche Wohlfahrt des Volkes insonderheit anvertraut ist.
    Krieg wird in diesem Nebel von Falschheit geführt, wovon ein großer Teil nicht aufgedeckt und als Wahrheit hingenommen wird. Der Nebel entsteht aus Furcht und wird von Schrecken genährt. Irgendein Versuch, auch nur die phantastischste Geschichte zu bezweifeln oder zu leugnen, wird sogleich als unpatriotisch, wenn nicht gar als verräterisch verurteilt. So finden die Lügen rasche Verbreitung. Würden sie nur zur Täuschung des Feindes im Kriegsspiel benützt, so brauchte man sich darüber keine Sorgen zu machen. Da aber die meisten von ihnen den Zweck haben, Entrüstung zu entfachen und die Blüte der Jugend des Landes zur Aufopferung ihres Lebens zu bewegen, so wird es eine ernste Sache. Eine Enthüllung mag daher, auch nachdem der Kampf vorbei ist, von Nutzen sein, um den Betrug, die Heuchelei und den Schwindel, auf welchen jeder Krieg beruht und die schreienden und gemeinen Kunstkniffe, die so lange Zeit angewandt wurden, um dem armen, unwissenden Volke den wahren Sinn des Krieges zu verbergen, aufzudecken.
    Es muß zugegeben werden, daß viele Leute sich bewußt und gerne betrügen ließen. Viele jedoch wurden den Betrug nicht gewahr, und ihr patriotischer Eifer war aufrichtig. Wenn sie jetzt entdecken, daß geflissentlicher und sorgsam vorbereiteter Betrug an ihnen geübt wurde, so empfinden sie einen Groll, der nicht nur dazu gedient hat, ihnen selbst die Augen zu öffnen, sondern sie auch veranlassen kann, ihren Kindern die Augen offen zu halten, wenn in Zukunft die Kriegstrompete ertönt.
    Wir wollen versuchen, zwischen dem Verhalten von Völkern und dem Gebaren von Einzelpersonen einen sehr schwachen und unzulänglichen Vergleich anzustellen.
    Denken wir uns zwei große Landhäuser, die von großen Familien mit ihren Freunden und Verwandten bewohnt werden. Wenn die Familienmitglieder des einen Hauses im andern Hause auf Besuch weilen, wird der Diener beauftragt, alle Briefe, die sie empfangen und absenden, zu öffnen und deren Inhalt dem Gastgeber mitzuteilen, an den Türen zu lauschen und alle Telephongespräche abzuhorchen. Wenn ein großes Wettspiel, sagen wir ein Kricketwettspiel, das den ganzen Distrikt in Aufregung versetzt, zwischen ihnen stattfindet, so werden den Abwesenden falsche Nachrichten über das Spiel erteilt, damit sie glauben sollen, daß die von ihnen begünstigte Seite gewinnt, die andere Seite wird des Betruges und Falschspieles beschuldigt, und über das Familienhaupt und die gräßlichen Vorgänge im andern Hause werden skandalöse Berichte in Umlauf gesetzt.
    All dieses
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