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Lügen in Kriegszeiten

Lügen in Kriegszeiten

Titel: Lügen in Kriegszeiten
Autoren: Arthur Ponsonby
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einzelstehender Fall zu einer vorherrschenden Gepflogenheit auf seiten des Feindes gedrechselt werden. Unbewußt gibt jeder die Geschichte mit Ausschmückungen weiter und versucht dennoch sich einzureden, daß er die Wahrheit spricht.
    Es gibt Lügen, die infolge der inhärenten Unzuverlässigkeit und Fehlbarkeit des menschlichen Zeugnisses entstehen. Keine zwei Menschen können den Hergang eines Straßenunfalles übereinstimmend erzählen. Wenn noch Voreingenommenheit und Erregung dazukommen, dann wird die menschliche Zeugenaussage ganz wertlos. In Kriegszeiten wird aber ein solches Zeugnis als maßgebend angenommen. Die kümmerlichste und unzuverlässigste Beweisführung genügt – „der Freund des Bruders eines Mannes, der gefallen ist“, oder, wie ein deutscher Ermittler der Lügner seines eigenen Landes sagt, „jemand, der es gesehen hatte“, oder „ein außerordentlich achtbares, altes Weib.“
    Dann gibt es die reine Erdichtung. Briefe von Soldaten, die sich die Tage und Wochen unerträglichen Wartens mit Schreiben vertrieben, enthielten manchmal ergreifende Schilderungen von Gefechten und Abenteuern, die niemals stattgefunden hatten.
    Es gibt Ausflüchte, Verheimlichungen und halbe Wahrheiten, die auf feinere Art irreführen und die den Regierungen allmählich zur Gewohnheit werden.
    Es gibt die amtliche Geheimhaltung, welche die öffentliche Meinung unvermeidlich irreführen muß. So schrieb zum Beispiel ein bekannter, englischer Schriftsteller, der vielleicht besser unterrichtet war als die Mehrheit der Allgemeinheit, an einen amerikanischen Schriftsteller einen Brief, der am 21. Mai 1918 in der Presse veröffentlicht wurde und in dem er ausführte:
     
    Es gibt keine Geheimverträge irgendwelcher Art, an welchen dieses Land beteiligt ist. Unser Außenminister hat dies mehr als einmal öffentlich und klar erklärt, und, abgesehen von der Ehre, würde es für jeden britischen Beamten einen politischen Selbstmord bedeuten, wenn er eine derartige falsche Erklärung abgäbe.
     
    Und dennoch gab es eine Reihe von Geheimverträgen. Es ist nur gerecht zu bemerken, daß hier der Schriftsteller und nicht der Außenminister der Lügner ist. Dessenungeachtet wurde die von Mr. McCurdy zusammengestellte, amtliche Flugschrift, The Truth about the Secret Treaties (Die Wahrheit über die Geheimverträge) mit einer Anzahl von nicht gezeichneten Ausschnitten veröffentlicht und sowohl Lord Robert Cecil (1917) wie Mr. Lloyd George (1918) erklärten (letzterer einer Deputation des Gewerkschaftskongresses), daß unsere Politik nicht auf die Zertrümmerung Österreich-Ungarns hinziele, obgleich beide wußten, daß gemäß dem im April 1915 mit Italien geschlossenen Geheimvertrage Teile von Österreich-Ungarn an Italien abgetreten, und daß es vom Meere abgeschnitten werden solle. Geheimverträge bedingen naturgemäß ein beständiges Ableugnen der Wahrheit.
    Dann gibt es eine amtliche, auf echte Entrüstung des Volkes gestützte Scheinentrüstung, die eine Form von Falschheit ist, zu der manchmal in einem unbewachten Augenblick Zuflucht genommen und die dann später bereut wird. Die erste Anwendung von Gas und der U-Bootkrieg sind gute Beispiele hierfür.
    Die Herabsetzung des Feindes kann sich, wenn illustriert, als eine unkluge Art von Falschheit erweisen. So gab es eine Zeit, in der die deutschen Soldaten gewöhnlich kriechend, mit hochgehobenen Armen und „Kamerad“ schreiend, dargestellt wurden, bis die Presse und die Propagandaobrigkeiten darauf kamen, daß die Leute fragten, warum wir, wenn wir gegen solches Material zu kämpfen haben, die Deutschen nicht schon längst geschlagen haben.
    Es gibt persönliche Beschuldigungen und falsche Anklagen, die in einer vorurteilsvollen Kriegsatmosphäre erhöben werden, um Leute, die sich weigern, dem Kriege gegenüber die orthodoxe Haltung einzunehmen, in Verruf zu bringen.
    Dann gibt es erlogene Gegenbeschuldigungen zwischen verschiedenen Ländern. So wurden z. B. die Deutschen bezichtigt, die armenischen Massenermordungen in die Wege geleitet zu haben, während sie ihrerseits behaupteten, die Armenier hätten, von den Russen angespornt, 150 000 Mohammedaner umgebracht ( Germania, 9. Oktober 1915 ).
    Es ließen sich noch andere, feiner angelegte und schlauere Arten von Falschheit finden, aber die obigen geben schon ein gutes Bild.
    Sehr viel hängt von der Qualität der Lüge ab. Für intellektuelle Leute braucht man intellektuelle Lügen und grobe Lügen für das gemeine
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