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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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Holzschuhe. Sie gehörten ihreraußerordentlich stattlichen Wirtin und waren trotz des dicken Strohpolsters viel zu groß. Wenn sie den Winter in Hamburg mit halbwegs trockenen Füßen überstehen wollte, mußte sie unbedingt ein passendes Paar dieser unförmigen Pantinen kaufen.
    Auf dem Jungfernstieg drängten sich die Menschen, bewegten sich in seltsam stockenden Schlangenlinien, hüpften von einer halbwegs trockenen Stelle zur nächsten, und wenn sie Nachbarn oder Freunde trafen, nahmen sie sich doch immer wieder genug Zeit, einander zu versichern, daß Anfang Oktober viel zu früh für so einen Sturm sei, daß man nicht wisse, wie man den Keller und den Schuppen jemals wieder trocken bekomme, oder – mit einem wohlwollenden Blick zur kupfernen Turmspitze von St.   Petri – was für ein Glück es sei, daß Petrus nun doch ein Einsehen gehabt habe. Auf den Ufersteinen boten Hökerinnen schon wieder ihre Waren feil, beeilten sich, mit roten Äpfel oder Zimtkringeln, Zitronen, getrocknetem Lavendel, kleinen Puppen aus weißen und braunen Wollfäden oder Windrädern aus Gänsefedern die Verluste der vergangenen Tage wettzumachen.
    Rosina besah sich die Menschen, hörte ihnen zu, lauschte auf die Möwen, die Hunde und Pferde, die knarrenden Räder der Karren, Fuhrwerke und Kutschen und fühlte sich wie auf einer großen Bühne. Einer etwas zu vollen Bühne: Gerade wich sie einem hoch mit Kattunballen beladenen Karren aus, als sie unsanft von einem «Platz da!» rufenden Sänftenträger zur Seite geschubst wurde. Die Männer schleppten offenbar einen ebenso schweren wie gut zahlenden Gast, jedenfalls waren sie sehr in Eile.
    Rosina stolperte und sprang hastig zur Seite, aber ihren linken Schuh kümmerte das nicht. Der blieb einen Schritt zurück in einer schlammigen Pfütze stecken, und nunstand sie schwankend auf einem Bein, das Gesicht unter den blonden, nur noch mühsam gebändigten Locken ärgerlich gerötet, die schlammbespritzten Röcke mit beiden Händen gerafft. Und während ein vorbeieilender Wasserträger etwas von einem betrunkenen Storch rief, löste sich ihr Schultertuch, glitt langsam, aber unaufhaltsam zu Boden und versank in einer braunen Pfütze.
    Ein junger Mann löste sich aus der Menge der lachenden Zuschauer, zog schnell die Pantine aus dem Morast und stülpte sie über Rosinas Fuß in einem ehemals weißen Strumpf.
    «Danke», murmelte Rosina, als sie endlich wieder fest auf beiden Beiden stand, «sehr freundlich», und sie starrte auf ihre Füße. Sie war ihm wirklich dankbar, alle anderen hatten nur darauf gewartet, daß sie ganz und gar im Morast landete. Er hatte allerdings vergessen, den Holzschuh auszuleeren. Der Schlamm, kalt, klebrig und graubraun wie angebrannte Gerstengrütze, quoll langsam über ihren Knöchel.
    Gerade hatte sie sich noch über die Leute geärgert, die lachend herumstanden, anstatt ihr zu helfen, doch nun mußte sie selbst lachen. Da hatte sie im Morast gestanden, auf einem Bein schwankend, windzerzaust, und tatsächlich, ganz wie es im Lustspiel üblich war, kam auch hier ein rettender – nun, vielleicht kein Prinz, aber doch einer, der ihr die Hand und ihren schlammigen Schuh reichte. Aus dem Ärgernis war eine Komödie geworden, und Rosina Hardenstein, seit drei Wochen im Ensemble des neuen Theaters am Gänsemarkt, hatte ihre gute Laune wiedergefunden. Irgendwann, da war sie sicher, würde sie diese Szene auf der Bühne nutzen, um damit auch das Publikum zum Lachen zu bringen.
    Sie sah dem jungen Mann im braunen Rock nach, aberer war kaum weniger in Eile als die Sänftenträger und schon in der Menge verschwunden, als ihr einfiel, warum er ihr so vertraut erschienen war: Er war der Kattundrucker, der alle Tage am Bühneneingang auf Loretta wartete. Und meistens ließ ihn Loretta, wie Rosina Komödiantin am Hamburger Theater, warten. Wie war nur sein Name? Rosina konnte sich nicht erinnern. Wenn Loretta von ihm sprach, und das tat sie selten, sprach sie nur von dem Kattundrucker. Armer Lukas. Ja, nun erinnerte sie sich doch, so hieß er. Lukas Blank. Wer sich in Loretta verliebte und nichts als ein Kattundrucker war, hatte ziemlich schlechte Karten.
    Es waren nur noch wenige Schritte bis zu dem Gang, der zwischen zwei hohen Häusern mit reichen Giebeln vom Gänsemarkt zum Theater führte. Er war schmal, gerade breit genug für eine nicht zu prächtige Kutsche, und von der Art, die an ihrem Ende einen mageren Garten, ein paar Ställe oder eine dieser
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