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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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Schauspieler hatte sich auf die Suche nach der Schankmagd mit dem Abendessen gemacht. Er kannte sich in dem neuen Gebäude gut aus, und das matteLicht einer Talgkerze genügte ihm. Es war allerdings nicht das Licht, das ihm half, Elsis toten Körper zu finden. Der gute Duft des Schinkens, der aus dem fallenden Korb auf die Dielen gerollt war, lockte ihn in die kleine Kammer.
    Wer weiß, vielleicht hätten sie ihn als Mörder gehängt, irgend jemand mußte ja schuldig sein. Und obwohl sie keine Bristolerin war, hatten alle in der King Street Elsi gern gehabt. Wer also sollte ihren Tod wünschen?
    Der Schauspieler hatte Glück, sie faßten den Mörder schnell. Ein kostbares blaues Glas, dessen Scherben sie, in ein blaues Tuch gehüllt, in Elsis Schürzentasche fanden, war der Beweis. Ein junger Glasbläser war es gewesen. Das Glas stammte aus der Werkstatt seines Meisters, er hatte es gestohlen, was schon Verbrechen genug war, und der Nachtwächter war ihm am Ende der King Street über den Weg gelaufen, just als der Schauspieler aus einem Fenster des Theaters nach der Wache schrie.
    Joseph beteuerte noch unter dem Galgen seine Unschuld, doch niemand glaubte ihm. Nicht einmal der Pastor, der ihn 19   Jahre zuvor getauft hatte und nun auf seinem letzten Gang begleitete.

Hamburg, im Oktober 1767

1.   KAPITEL
    DIENSTAG, DEN 6.   OKTOBER, VORMITTAGS
    Die Stadt sah wie frisch gewaschen aus, und das war sie auch. Tagelang hatte der prasselnde Regen den Sommerstaub von den Dächern gespült, hatten stürmische Böen Unrat und alles, was nicht fest gebaut oder angebunden war, von Straßen, Plätzen und Höfen in die Fleete und Flüsse geweht. Die alten Ulmen auf den Wällen und die Linden auf dem Jungfernstieg reckten ihre gerupften, nun schon fast nackten Äste in den Himmel.
    Die junge Frau im nachtblauen Mieder sah stirnrunzelnd an ihrem ehemals weiß und lavendelfarben gestreiften Rock hinunter. Der braune Morast und das schlammige Wasser der Pfützen, die viele Straßen der Stadt immer noch bedeckten, hingen schwer und klebrig bis weit über den Saum in dem feinen Kattun. Natürlich war es leichtsinnig gewesen, heute morgen ihren schönsten Rock anzuziehen. Aber wie wunderbar, daß Regen und Sturm sich endlich eine andere Stadt gesucht hatten! In den letzten Tagen hatte sie sich wie ein Vogel im Käfig gefühlt, und der erste Morgen ohne diese kalten Sturzbäche war wie ein Fest. Das war einen schmutzigen Rock wert. Sie blinzelte in die Sonne und sah über die innere Alster, auf der sich das Licht glitzernd in kleinen, mutwillig hüpfenden Wellen fing. Die roten Dächer am westlichen Ufer leuchteten im klaren Morgenlicht, und die schwarzen der beiden Mühlenlinks und rechts der Lombardsbrücke zwischen den Bastionen Dedericus und David schimmerten wie Samt. Selbst die Schreie der hoch über dem Wasser tanzenden Möwen klangen ausgelassen der Sonne entgegen.
    In der vergangenen Nacht hatte der sintflutartige Regen endlich aufgehört. Mit dem Sonnenaufgang riß die bleierne Wolkendecke, verwandelte sich in aufgeplusterte Gebilde, die, weiß und grau mit kleinen schwarzblauen Fetzen, immer weiter aufzusteigen schienen. Plötzlich war der Himmel über Hamburg nicht mehr bedrohlich, plötzlich war er hoch und hell, die Sonne, genauso geputzt wie die Dächer, überschüttete die Stadt mit diesem goldenen Herbstlicht, das die Seele weit macht und sehnsüchtig, genau wie das erste Grün des Frühlings. Die frische, klare Luft war belebend wie junger Wein. Immer noch wehte Wind, aber nun war er sanft, als habe er sich müde getobt und schlendere nur noch ein wenig herum, um der Sonne, die sich so lange verborgen hatte, Gesellschaft zu leisten.
    Alles, was Beine hatte, egal ob zwei oder vier, drängte sich in den Straßen. Auf den Wäscheleinen über den Gängen flatterten Kleider, Decken, Kissen und Leinzeug. Alles, was in den letzten Tagen feucht und muffig geworden war, dehnte und glättete sich in der wärmenden Sonne. Niemand schien sich daran zu stören, daß die meisten Wege in der Stadt noch so morastig waren, Kinder, ob in Lumpen oder im Samtjäckchen, sprangen mit schrillem Geschrei über die großen Wasserlachen, und wer nicht zu Pferd, in einer Kutsche oder Sänfte den ersten sonnigen Tag begrüßen konnte, stapfte in klobigen, strohgepolsterten Holzschuhen durch die Pfützen.
    Auch Rosina, die junge Frau, die ihren schmutzigen Rock nun ein wenig höher raffte, als es an normalen Tagen schicklich war, trug heute
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