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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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würde aus der Schenke treten, einen Korb mit Abendbrot unter dem Arm, auf dem Weg zu einem der nahen Etablissements, in denen reiche Herren und hübsch geputzte, stets etwas zu stark geschminkte Damen sich bei heiterer Musik und allerlei Spielen vergnügten. Aber heute hatte niemand nach einem Abendbrot geschickt. Alle waren im neuen Theater gewesen.
    «Geh nach Hause», flüsterte Elsi und zog schnell die Tür hinter sich zu, «ich bin in Eile. Und sieh mich nicht so an. Ich werd meine Meinung nicht ändern.»
    Er nickte bedächtig. Elsi spürte Ungeduld, wie immer, wenn sie dem jungen Glasbläser gegenüberstand. Man wurde steinalt, bevor er nur einen Satz herausbrachte.
    «Geh nach Hause», flüsterte sie noch einmal, «und vergiß mich einfach.»
    Wieder nickte er gehorsam. «Gleich», sagte er dann mit seiner tonlosen, stets etwas rauhen Stimme. «Das hier ist zum Abschied. Nur zum Abschied.»
    Damit du mich nicht vergißt, wollte er hinzufügen, aber das tat er nicht. Er hielt ihr ein schmales, in blaues Tuch gewickeltes Päckchen entgegen. Elsi zögerte, dann nahmsie es rasch und schob es in die Tasche ihrer Schürze. Joseph war ein netter Mann, aber sie liebte ihn nicht, jedenfalls nicht genug, um für ihn ihre Pläne aufzugeben.
    «Leb wohl», flüsterte sie, und weil er ihr leid tat, strich sie im Davoneilen flüchtig über seine Wange.
    Bevor sie an der Lederhandlung vorbei in den Gang schlüpfte, der zum Hintertor des Theaters führte, sah sie sich noch einmal um. Sie war sicher, Josephs Schritte hinter sich gehört zu haben, aber nun war er verschwunden. Eigentlich, fand sie, hätte er ihr den schweren Korb tragen können. Aber auf solche Ideen kam er nie, er war eben ein Glasbläser und kein Gentleman.
    In dem Gang war es noch dunkler als auf der Straße. Sie sah zu den Fenstern des neuen Gebäudes hinauf, auch dort entdeckte sie keinen Lichtschimmer. Was war das für eine Premierenfeier, ohne Licht, ohne Musik, ohne laute, fröhliche Stimmen? Eine nachtkühle Bö fegte vom Avon herauf und wirbelte ein paar welke Blüten in den Gang, aus dem Garten hinter dem Haus des Lederhändlers duftete es nach Flieder, irgendwo klapperte ein hölzernes Fenster gegen seinen Rahmen. Sonst nichts. Wo war nur das Hintertor? Der Korb wurde immer schwerer. Als Elsi gerade die Suche aufgeben wollte, entdeckte sie eine schmale Tür. Sie war tatsächlich nicht verschlossen, und Elsi schlüpfte trotz ihrer schweren Last flink in den dahinterliegenden Gang. An seinem Ende gab eine Öllampe mattes Licht, und das Mädchen seufzte erleichtert. Sie war nicht sicher, ob sie genug Mut gehabt hätte, in einem stockdunklen fremden Haus nach den Komödianten zu suchen.
    Aber nun konnte sie sie doch hören. Schwach nur, sie mußten am anderen Ende des Hauses sein. Elsi hörte eine hohe weibliche Stimme, eine tiefere lachte, ein Cembalowurde angeschlagen, eine Violine angestrichen, und dann begann jemand zu singen. Elsi war nicht sicher, ob sie tatsächlich erwartet wurde, vielleicht hatte sich nur jemand mit Kate einen Scherz erlaubt. Aber das war ihr egal. Sie konnte endlich das Theater betreten, mehr noch, sie würde die Schauspieler treffen, vielleicht war sogar Mr.   Garrick noch da, der berühmteste im ganzen Land und extra zu diesem großen Ereignis aus London angereist. Oder Mr.   Powell, einer der Direktoren, von dem Liz gesagt hatte, daß er ein charmanter Herr sei und immer auf der Suche nach jungen Talenten.
    Es war nun wieder dunkel, die Gänge erschienen Elsi wie ein Labyrinth, aber sie mußte ja nur den Stimmen folgen, die jetzt immer klarer wurden. Sie stieg, so schnell sie konnte, eine steile Treppe hinauf, das Knarren der Stufen erschien ihr seltsam, als habe es ein Echo. Die blöde Liz, dachte sie ärgerlich. Hätte sie mir doch nicht dieses Märchen von den Geistern erzählt, die in jedem Theater wohnen und dafür sorgen, daß keine fremden Künstler die angestammten verdrängen.
    Die Stimmen schienen nun wieder leiser zu werden, und so sehr sie sich auch dagegen wehrte, Elsi begann sich zu fürchten. «Hallo», rief sie. «Hal   …»
    Das Wort blieb in ihrem Hals stecken, eine feste Hand hatte sich auf Elsis Mund gelegt, sie spürte einen Körper, der sie durch eine enge Tür in die Schwärze eines dunklen Raumes drängte. Es war plötzlich ganz still, atemlos still. Das letzte, was Elsi hörte, war ein trockenes Knacken.
     
    Schon eine halbe Stunde später wurde Elsi gefunden. Ein junger, hungriger
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