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London 1666

London 1666

Titel: London 1666
Autoren: Vampira VA
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Bezirk rings um den Pye Corner.
    Ruby war stehengeblieben. Sie vermied selbst jedes Geräusch und lauschte in nähere und weitere Umgebung. Als sie weder Schritte noch Flüche oder Gehuste hörte, akzeptierte sie zögernd, daß der Unhold seine Verfolgung eingestellt hatte, nachdem ihm klargeworden war, daß sie beweglicher und schneller als er war.
    Mit geballten Fäusten spannte sie jeden Muskel ihres keineswegs mageren, sondern unter den Lumpen sehr gut proportionierten Körpers an.
    Nicht einmal die ungewaschenen Haare und die viel zu großen Klamotten konnten verbergen, daß sich unter dieser Kruste eine Schönheit verbarg. Die Kerle schienen für so etwas ohnehin einen Riecher zu haben.
    Miese kleine Bastarde!
    Ruby hatte, was das anging, bereits einige trübe Erfahrungen gemacht. Vor einem Jahr, sie war fünfzehn gewesen, hatte der hochanständige und wohlangesehene Dr. Burnet sie auf dem Behandlungsstuhl seiner Praxis - Mieser kleiner, toter Bastard!
    Ruby sog tief die dunstverhangene Morgenluft ein. Ihre Lungen hatten sich längst daran gewöhnt. Der Mensch gewöhnt sich an vieles, das hatte schon ihre Mutter jeden Tag einmal gesagt, als Ruby noch ein Kind und bei ihr gewesen war. Vielleicht sagte sie es noch immer gegen die kahle Wand ihrer Stube. Vielleicht gelang ihr nur noch dieser Satz, dieser eine, sonst gar kein Wort mehr .
    Traurig ließ Ruby die Spannung aus ihrem Körper fließen. Sie merkte, daß sie Hunger hatte. Und Durst. Deshalb beschloß sie, irgendwo etwas zu stehlen.
    Den Weg zum Kanal, wo die Häuser armer Leuten standen, behielt sie bei. Eine Kleinigkeit ließ sich dort immer besorgen, im Gegensatz zu den Palästen der reichen Geldsäcke, wo die Diener angewiesen waren, jeden gleich windelweich zu prügeln, der es auch nur wagte, die Finger nach einer trockenen Brotkante auszustrecken.
    Ruby hatte, was Arme anging, genausowenig Gewissensbisse wie bei Reichen. Skrupel konnte sie sich nicht leisten.
    Sie glaubte auch nicht, daß sie je wieder irgendwo seßhaft werden könnte. Sie war verdammt, durch die Stadt zu ziehen. Ruhelos, immer in der Angst, erkannt zu werden, denn sie haßte es, wenn Leute mit den Fingern auf sie zeigten und raunten: »Seht nur, das Pestmädchen! Erinnert ihr euch? Wißt ihr noch, wie sie vor einem Jahr aussah ...?«
    Sie mußte kurz stehenbleiben, weil ihr schwarz vor Augen wurde.
    Sie stützte sich mit beiden Armen an einer Hauswand ab. Der Schwindel verging wie üblich, und sie erlangte die Gewalt über ihren äußerlich längst wieder makellosen Körper zurück.
    Aber als sie den Weg fortsetzen wollte .
    . stand plötzlich jemand im Weg!
    Genau vor ihr!
    Sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie er dorthin gekommen war, noch dazu in dieser gespenstischen Lautlosigkeit. Aber da stand er, zum Greifen nahe, und in seinen geröteten Augen konnte sie lesen, was er mit ihr vorhatte.
    »Hab ich dich, mein Täubchen? Jetzt werd' ich dir die Federn stutzen. Du sollst nie vergessen .«
    Ruby wartete nicht, bis er ausgeredet hatte.
    Sie riß ihr rechtes Bein empor und trat zu. Blitzschnell und mit aller Wucht, zu der sie fähig war.
    Seine Stimme erstickte in einem ähnlichen Gurgeln, wie es im Fluß den einen oder anderen Strudel markierte. Aber trotz des Tritts und der Tränen, die der Schmerz ihm in die Augen trieb, reagierte er erschreckend gezielt. Seine Hand schoß vor und umspannte Rubys Knöchel. Es gelang ihr nicht mehr, auszuweichen. Fast spielerisch brachte er Ruby zu Fall. Ihr Standbein wurde förmlich weggerissen. Das nächste, was sie spürte, war der harte Boden in ihrem Kreuz. Zwar konnte sie durch eine instinktive Reaktion verhindern, daß sie mit dem Kopf aufschlug und sich dabei vielleicht sogar den Schädel brach, aber der Katzenbuckel, mit dem sie dies erreichte, schien durch die Wucht des Aufpralls selbst in tausend Trümmer zu gehen. Der widerwärtigste Schmerz, an den sie sich erinnern konnte, züngelte durch ihr Rückgrat. Für ein paar quälend lange Herzschläge war sie überzeugt, nie wieder aufstehen zu können.
    Erst das Lachen ernüchterte sie. Das teuflische Gelächter des Hurensohns, der ihr das angetan hatte!
    Breitbeinig und glotzend stand er über ihr.
    Und Ruby konnte nicht anders: Sie wünschte ihm für das, was er ihr angetan hatte und noch antun würde, die Pest an den Hals!
    DIE PEST!
    Für unbestimmte Dauer rückten wieder die Bilder in ihr Bewußtsein, die sie liebend gern vergessen hätte. Die Karren voller Toter . das Toben der
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