Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller
Autoren: Ein suendiger Engel
Vom Netzwerk:
schauen?
    Tatsächlich
gab es in jener Nacht, nachdem das Brautpaar sich zur Hochzeitsnacht
zurückgezogen hatte, nur einen Menschen in ganz Northridge, der noch betrunkener
war als Jack Fitzpatrick. Und das war der junge Forbes Durrant, der seine
Enttäuschung und sein gebrochenes Herz in Alkohol zu ertränken versuchte.

I. Engel in Ugnade

1

    ... ein großartiger kleiner Krieg...
    Spokane und die es umgebenden Weizenfelder
lagen weit zurück. Gemächlich zuckelte der Zug mit seinen schwerbeladenen
Frachtwaggons und den fast leeren Passagierabteilen am Ufer des wildschäumenden
Columbia River entlang.
    Ein Bild
stummer Verzweiflung, saß Bonnie McKutchen auf der harten schmalen Bank. Nach
tagelanger Reise hatte ihr dunkles Haar sich teilweise aus den Nadeln gelöst
und hing ihr glatt und strähnig auf die Schultern. Ihr blaues Reisekostüm und
das hüftlange, mit schwarzen Gagatperlen bestickte Cape waren zerknittert, ihr
Hut war trotz wiederholten Ausschüttelns grau vor Staub.
    Hinter dem
verrußten Fenster zog der wilde Columbia River vorbei, der seinen Ursprung in
den Cascade Mountains in Kanada hatte und quer durch den Staat Washington
verlief. Etwa dreihundert Meilen weit bildete er die Grenze zwischen Washington
und Oregon, bevor er Astoria erreichte und in den Pazifik mündete.
    Vor dem Bau
der Eisenbahnlinie hatten beherzte Dampfschiffkapitäne dem tückischen Fluß mit
seinen Wasserfällen und gefährlichen Strömungen getrotzt. Heute, Anfang Mai
1898, waren die großen Schaufelraddampfer und ihre mutigen Kapitäne nur noch
Erinnerung.
    Bonnie
seufzte. Mr. Theodore Roosevelt, häufiger Gast an ihrer Tafel in New York und
bis zu seinem unerwarteten Rücktritt vor einer Woche stellvertretender
Marineminister der Vereinigten Staaten, hatte wiederholt größere
Rücksichtnahme auf die Flüsse und Wälder des Landes gefordert. Ihre Reserven,
warnte Mr. Roosevelt, seien nicht unerschöpflich.
    Bonnie
hatte ihm natürlich zugestimmt, doch heute, als der Zug sie von allem
entfernte, was ihr lieb und teuer war, konnte sie nur noch mit Groll an Mr.
Roosevelt denken. Denn wenn er und seine radikalen Ansichten über die
gegenwärtige Krise in den Beziehungen zu Spanien nicht gewesen wären, säße sie
jetzt nicht in diesem Zug, und Eli befände sich nicht auf dem Weg nach Kuba...
    Den
Zeitungsgeschichten zufolge hatten die Spanier unaussprechliche Greueltaten an
den > kindlichen < Eingeborenen dieser höllischen Insel begangen, die nur
aus Dschungel und krankheitsübertragenden Moskitos zu bestehen schien. Bonnie
schüttelte resolut den Kopf. Sie durfte nicht an Kuba denken und auch nicht an
Eli, solange sie keine neuen Kräfte gesammelt hatte.
    Um sich von
ihren trüben Überlegungen abzulenken, betrachtete sie die wenigen anderen
Fahrgäste, die ihren Wagen teilten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges
saß ein Mann, der sich fast während der gesamten Fahrt hinter einer
abgegriffenen Ausgabe von Mr. Hearsts New York Journal verborgen hatte.
Weiter vorn im Waggon reiste eine vierköpfige Familie, die sich jetzt
geschlossen erhob, um ihre steifen Glieder zu bewegen.
    Bonnie
beobachtete die Leute unauffällig.
    Der Mann
und der Junge hatten beide leuchtend rotes Haar und trugen billige Anzüge mit
auffallendem Karomuster. Die Frau war blond, sorgfältig frisiert und
höchstwahrscheinlich wieder schwanger, denn ihr altmodisches rosa Taftkleid saß
sehr eng um ihre Hüften.
    Die
Tochter, die Bonnie auf zwölf Jahre schätzte, wirkte irgendwie fehl am Platze
in diesem Gemisch aus Schottenkaro und schäbigem Taft. Sie war ein ungewöhnlich
hübsches Mädchen mit glänzendem braunem Haar, das ihr lang über die Schultern
fiel, mit grünen Augen und makelloser Haut. Ihr schlichtes braunes, mit einer
dunklen Borte abgesetztes Kleid, sah erstaunlich frisch und sauber aus. Als
ihre Familienangehörigen wieder ihre Plätze einnahmen, schaute sich das Mädchen
um, und Bonnie stockte der Atem, als sie die tiefe Verzweiflung sah, die aus
den Augen der KIeinen sprach.
    Erschüttert
senkte sie den Blick und starrte auf ihre Hände. »Varietékünstler«, ließ sich
eine männliche Stimme vernehmen.
    Bonnie hob
erstaunt den Kopf, als der Mann von der anderen Gangseite zu ihr herüberkam.
Er war von großer Statur und schlankem Körperbau, hatte hellbraunes Haar, einen
gepflegten Schnurrbart und tiefblaue Augen. Zu einem Anzug aus grauem Tuch trug
er eine Weste aus gestepptem Satin. Ohne Bonnie um Erlaubnis gebeten zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher