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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume
Autoren: Connie Willis
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und hob eines der Veilchen hoch.
    »Den größten Teil der Lauferei. Weißt du, am Anfang, als mich Broun gerade eingestellt hatte, wollte er mich kaum etwas recherchieren lassen. Ich brauchte fast ein Jahr, ihn dazu zu bringen, mich seine Besorgungen erledigen zu lassen, und jetzt wünschte ich, nicht so gute Arbeit geleistet zu haben. Es sieht so aus, als wollte es zu schneien anfangen.«
    Sie stellte den Blumentopf auf den Tisch zurück und sah zu mir auf. »Erzähl mir vom Bürgerkrieg«, sagte sie.
    »Was willst du wissen?« fragte ich. Ich wünschte auf einmal, ich hätte ausgiebig geschlafen, um diesem Gespräch mit klarem Kopf folgen zu können, um ihr Geschichten über den Krieg zu erzählen, die irgendwie diesen traurigen Ausdruck aus ihren blaugrauen Augen vertrieben. »Ich bin ein Experte für Antietam. Der blutigste Tag des ganzen Bürgerkriegs. Vielleicht auch der wichtigste, obwohl Broun da widersprechen würde. General Lee brauchte einen Sieg, damit England die Konföderation anerkannte, und deshalb fiel er in Maryland ein, bloß es klappte nicht. Er mußte sich nach Virginia zurückziehen und…«
    Ich brach ab. Ich redete mich selbst in den Schlaf, und Gott allein wußte, was ich Annie antat, die wahrscheinlich noch nie von Antietam gehört hatte. »Wie wäre es mit Robert E. Lee? Und seinem Pferd. Ich weiß so ziemlich alles, was man über dieses verdammte Pferd wissen kann.«
    Sie strich sich das kurze Haar aus dem Gesicht und lächelte. »Erzähl mir von den Soldaten«, sagte sie.
    »Die Soldaten, aha. Nun, die meisten waren Farmerssöhne, ohne Bildung. Und sie waren jung. Das Durchschnittsalter der Soldaten im Bürgerkrieg war dreiundzwanzig.«
    »Ich bin dreiundzwanzig«, sagte sie.
    »Ich glaube nicht, daß du allzuviel zu befürchten gehabt hättest. Im Bürgerkrieg wurden keine Frauen eingezogen«, sagte ich, »obwohl sie vielleicht dazu gezwungen gewesen wären, wenn der Krieg noch länger gedauert hätte. Die Konföderation hatte nur noch alte Männer und dreizehnjährige Jungen. Wenn du dich für Soldaten interessierst, ein ganzer Haufen davon liegt in Arlington begraben«, sagte ich. »Hättest du Lust, morgen mit mir dort rauszufahren?«
    Sie hob einen anderen Blumentopf hoch und fuhr mit den Fingern an den Blättern entlang. »Nach Arlington?« sagte sie.
    Richard und ich hatten im Duke vier Jahre lang zusammen gewohnt. Ich hatte seine Mädchen nie auch nur angeschaut, und heute hatte ich ihm gesagt, ich würde mich um sie kümmern. »Arlington eignet sich prima zum Besichtigen«, sagte ich, als hätte ich die letzten drei Tage und Nächte nicht mit Aufputschmitteln und Kaffee durchgemacht und mir nichts sehnlicher gewünscht, als zu Broun zurückzukommen und bis zum Frühling durchzuschlafen, und als lebte sie nicht mit meinem alten Stubenkameraden zusammen. »Es sind eine Menge berühmter Leute dort begraben, und das Haus ist für die Öffentlichkeit geöffnet.«
    »Das Haus?« sagte sie und beugte sich über ein weiteres der Veilchen.
    »Robert E. Lees Haus«, sagte ich. »Das Anwesen war bis zum Krieg seine Plantage. Dann wurde es von der Union besetzt. Sie begruben Unionssoldaten im Vorgarten, um sicherzustellen, daß er niemals zurückkam, und das tat er auch nicht. Im Jahre 1864 wandelten sie es in einen Nationalfriedhof um. Ich habe in letzter Zeit eine Menge über Robert E. Lee recherchiert.«
    Sie sah mich an. Und sie hatte ihre Hand in den Blumentopf gesteckt. »Hatte er eine Katze?« sagte sie.
    Ich drehte mich um und blickte hinter mir zur Tür, weil ich dachte, Brouns Siamkater wäre heruntergekommen, um der Party zu entkommen, aber er war nicht da. »Was?« sagte ich und blickte auf ihre Hand.
    »Hatte Robert E. Lee eine Katze? Als er in Arlington lebte?«
    Ich war zu müde, das war alles. Wenn ich bloß ein Nickerchen gemacht hätte, anstatt über Willie Lincoln nachzulesen und mit Reportern zu reden, dann hätte ich das alles verkraftet – daß ich sie einlud, wo sie doch mit Richard zusammenlebte, daß sie mich fragte, ob Lee eine Katze gehabt hatte, während sie im Blumentopf herumscharrte, als versuchte sie, ein Grab zu schaufeln.
    »Welche Art Katze?« sagte ich.
    Sie hatte das Veilchen an den Wurzeln hochgezogen und hielt es fest in der Hand. »Ich weiß nicht. Einen gelben Kater. Mit dunkleren Streifen. Er war da, in dem Traum.«
    »In welchem Traum?« sagte ich und sah zu, wie sie den leeren Blumentopf fallen ließ. Er zersprang zwischen ihren Füßen.
    »Ich
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