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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume
Autoren: Connie Willis
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die Bedeutung ihrer Träume, dachte ich, er könnte mir vielleicht etwas über Lincolns Träume sagen.« Er wandte sich wieder an Richard. »Haben Sie schon zu Abend gegessen? Dort oben gibt es ein wundervolles Buffet – falls die Reporter nicht schon alles aufgegessen haben. Hummer und Schinken und ein herrliches Krabben-Dingsbums, das…«
    »Ich habe nicht sehr viel Zeit«, sagte Richard, wobei er Annie ansah. »Ich habe Jeff bereits am Telefon gesagt, daß ich nicht glaube, Ihnen helfen zu können. Man kann anderer Leute Träume nicht analysieren, indem man sie sich aus zweiter Hand nacherzählen läßt. Man muß alles über den Betreffenden wissen.«
    »Was auf Broun zutrifft«, sagte ich.
    »Ich benötige vor allem Informationen über die modernen Traumtheorien«, sagte Broun und bemächtigte sich Richards Arm. »Ich verspreche Ihnen, daß ich nur wenige Minuten Ihrer Zeit in Anspruch nehmen werde. Wir schnappen uns unterwegs etwas zu essen, und…«
    »Ich glaube nicht…«, sagte Richard, mit einem weiteren ängstlichen Seitenblick auf Annie.
    »Sie haben absolut recht«, sagte Broun, seine Hand hielt Richards Arm fest umspannt. »Warum sollte sich die junge Dame bei einem Haufen alter Geschichte langweilen, wenn sie statt dessen auf eine Party gehen kann? Jeff, du leistest ihr Gesellschaft, nicht wahr? Besorgst ihr etwas von diesem Krabben-Dingsbums und etwas Champagner?«
    Richard blickte Annie an, als erwartete er, daß sie Einspruch erheben würde, doch sie sagte nichts, und ich hatte den Eindruck, daß er erleichtert war.
    »Jeff wird sich gut um sie kümmern«, sagte Broun herzlich, wie ein Mann, der ein Geschäft abzuschließen versuchte. »Nicht wahr, Jeff?«
    »Ich kümmere mich um sie«, sagte ich und sah sie an. »Ich verspreche es.«
    »Den Traum, mit dem ich Probleme habe, träumte Lincoln zwei Wochen vor seiner Ermordung«, sagte Broun, indem er Richard zielstrebig zur Treppe geleitete, die zu seinem Arbeitszimmer hochführte. »Er träumte, daß er im Weißen Haus aufgewacht wäre und jemanden weinen hörte. Als er die Treppe hinunterging…« Sie tauchten in das Durcheinander der Geräusche und Menschen am Kopf der Treppe ein. Ich drehte mich um und sah Annie an. Sie stand hinter mir und blickte ihnen nach.
    »Hättest du Lust, zur Party raufzugehen?« sagte ich. »Broun wird aufgebracht sein, wenn du nicht dieses Krabben-Dingsbums probierst.«
    Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß Richard so lange bleiben wird.«
    »Ja, er schien nicht besonders begeistert von der Aussicht, Lincolns Träume zu analysieren.« Ich führte sie in den Wintergarten zurück. »Er hat andauernd davon gesprochen, aufbrechen zu müssen. Macht ihm einer seiner Patienten das Leben schwer?«
    Sie ging zu den Fenstern hinüber und schaute hinaus. »Ja«, sagte sie. »Richard sagte mir, du wärst Historiker.«
    »Hat er dir auch gesagt, ich wäre verrückt, mein Leben mit der Suche nach obskuren Fakten zu verbringen, die für niemanden von Bedeutung sind?«
    »Nein«, sagte sie und schaute zu, wie sich der Regen allmählich in Schnee verwandelte. »Das ist ein Ausdruck, den er in letzter Zeit für mich reserviert hat.« Sie wandte sich um und sah mich an. »Ich bin bei ihm in Behandlung. Ich habe eine Schlafstörung.«
    »Oh«, sagte ich. »Kann ich deinen Mantel haben?« sagte ich, um überhaupt etwas zu sagen. »Broun hat eine Backstube aus diesem Raum gemacht.«
    Sie gab ihn mir, und ich ging hinaus und hängte ihn in die Garderobe, während ich mir einen Reim auf das zu machen versuchte, was sie mir gerade eben gesagt hatte. Richard hatte nicht widersprochen, als ich sie seine Freundin genannt hatte, und Broun hatte mir gesagt, sie wäre in Richards Wohnung ans Telefon gegangen, aber wenn sie seine Patientin war, wie kam es dann, daß er mit ihr zusammenlebte?
    Als ich in den Wintergarten zurückkam, betrachtete sie Brouns afrikanische Veilchen. Ich ging zum Fenster hinüber und schaute hinaus, krampfhaft überlegend, worüber ich mit ihr reden könnte. Ich konnte sie wohl kaum danach fragen, ob sie mit Richard schlief oder ob ihre Schlafstörung etwas mit ihm zu tun hatte.
    »Ich muß morgen in dieser Schweinerei zum Nationalfriedhof nach Arlington raus«, sagte ich. »Ich soll herausfinden, wo Willie Lincoln begraben wurde, für Broun. Willie war Abraham Lincolns kleiner Sohn. Er starb während des Bürgerkriegs.«
    »Machst du die ganze Bürgerkriegs-Recherche für Broun?« sagte Annie
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