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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume
Autoren: Connie Willis
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leisten, anstatt deine Zeit bei einem Auftragsschreiberling mit der Suche nach obskuren Fakten zu verschwenden, für die sich eh’ niemand interessiert«, hatte er gesagt.
    Ich hatte den ganzen Tag über herauszufinden versucht, warum General Longstreet bei Antietam einen Pantoffel getragen hatte. Er hatte Blasen an der Ferse gehabt, eine Tatsache, die Richard sicherlich in die Kategorie ›Tatsachen, für die sich niemand interessiert‹ gesteckt hätte. Longstreet interessierte sich vermutlich dafür, trotz allem, denn schließlich versuchte er einen Krieg zu führen, und das gleiche tat Broun, was der Grund war, warum ich für ihn arbeitete, aber ich war nicht in der Stimmung, Richard das zu erklären.
    »Wenn dieser Pentagon-Job so toll ist, wie kommt es dann, daß der Typ Patient bei dir ist?« sagte ich statt dessen.
    »Er hat eine Schlafstörung.«
    »Nun, ich schlafe nachts großartig«, hatte ich gesagt. »Sag ihm danke, oder besser nicht danke.« Ich fragte mich, ob er jetzt angerufen hatte, um mir wieder einen Job anzubieten. Broun hatte gesagt, Richard hätte ihm nicht sagen wollen, worüber er mit mir sprechen wollte, was wahrscheinlich bedeutete, daß es sich so verhielt, und ich war nicht in der Verfassung, mir das anzuhören.
    Ich nahm statt dessen eine heiße Dusche und versuchte anschließend zu schlafen, aber ich mußte immer noch an Richard denken und faßte den Entschluß, ihn anzurufen und es hinter mich zu bringen. Ich ging in Brouns Arbeitszimmer hinüber, wo das Telefon stand. Ich dachte, vielleicht ginge die Freundin ran, mit der er gesprochen hatte, aber sie ging nicht ran. Richard aber, und er hatte keinerlei Jobangebote.
    »Wo, zum Teufel, hast du gesteckt? Ich habe versucht, dich anzurufen«, sagte er.
    »Ich war in West Virginia«, sagte ich. »Einen Mann treffen, wegen eines Pferdes. Worüber wolltest du mit mir sprechen?«
    »Über nichts Besonderes. Jetzt ist es jedenfalls zu spät. Broun meinte, er würde dafür sorgen, daß du mich anrufst«, sagte er in fast anklagendem Ton. Warum wurde ich andauernd in Gespräche verwickelt, die weder Kopf noch Fuß zu haben schienen?
    »Es tut mir leid, daß ich nicht angerufen habe. Ich bin eben nach Hause gekommen. Aber hör zu, was immer es ist, wir können heute abend auf dem Empfang darüber sprechen.«
    Am anderen Ende herrschte Totenstille.
    »Du kommst doch, oder etwa nicht?« sagte ich. »Broun liegt wirklich etwas daran, sich mit dir über Lincolns Träume zu unterhalten.«
    »Ich kann nicht kommen«, sagte er. »Es ist vollkommen unmöglich. Ich habe einen Patienten, den ich…«
    »Wir liegen näher am Schlafinstitut als deine Wohnung. Du kannst im Institut Brouns Nummer hinterlassen, und sie können dich anrufen, wenn es einen Notfall gibt. Ich würde dich wirklich gerne sehen, und ich möchte diese neue Freundin von dir kennenlernen.«
    Erneut Totenstille. Schließlich sagte er: »Ich glaube nicht, daß Annie…«
    »Mit dir kommen sollte? Natürlich sollte sie. Ich werde mich gut um sie kümmern, während du mit Broun sprichst. Ich werde ihr alles über deine wilde Studentenzeit im Duke erzählen.«
    »Nein. Sag deinem Boss, es tut mir leid, aber ich kann ihm nichts über Lincolns Träume erzählen, das ihn interessieren würde.«
    Etwa an diesem Punkt angelangt, begann mein ganzer Körper zu schmerzen. »Dann sag du ihm das. Sieh mal«, sagte ich, »du mußt nicht die ganze Zeit bleiben. Der Empfang beginnt um acht. Du kannst mit Broun sprechen und diese Annie, oder wie sie heißt, immer noch um neun zu Hause im Bett haben und ihre REM-Phasen beobachten oder was auch immer ihr Psychiater tut. Bitte. Wenn du nicht kommst, schickt mich Broun in diesem Schneesturm nach Indiana, damit ich herausfinde, welche Alpträume Lincoln als Jugendlicher hatte. Komm schon, tu’s für mich, deinen alten Stubenkameraden.«
    »Ich kann nicht länger bleiben als bis neun.«
    »Kein Problem«, sagte ich. Ich nannte ihm Brouns Anschrift und legte auf, ehe er nein sagen konnte, und dann saß ich einfach da vor dem Kamin. Brouns Kater sprang auf meinen Schoß, und ich streichelte ihn und dachte daran, aufzustehen und mich ins Bett zu legen.
    Broun weckte mich. »Wie lange habe ich geschlafen?« sagte ich und rieb mir, um wach zu werden, über das Gesicht. Wie lange es auch gewesen sein mochte, die Schmerzen waren schlimmer als vorher.
    »Es ist halb sieben«, sagte Broun. Er hatte inzwischen ein Dinnerjacket mit Faltenhemd und schmaler Krawatte
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