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Lilientraeume

Lilientraeume

Titel: Lilientraeume
Autoren: Nora Roberts
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als schlagartig nicht nur die Zimmertür aufflog, sondern die des Balkons gleich mit. Erst spürte er nur den winterlich kalten Luftzug, bis ihm mit einem Mal sommersüßer Geißblattduft entgegenwehte.
    »Meine Güte.«
    Gut, das mit dem Geist war nicht neu. Inzwischen hatte er dessen Existenz mehr oder weniger akzeptiert. Immerhin waren in den letzten Monaten ein paar Dinge geschehen, für die es keine logische Erklärung gab. Vor allem sein Bruder Beckett beharrte auf diesem real existierenden Geist und hatte ihm sogar einen Namen verpasst: Elizabeth oder Lizzy. Weil sich dieses rätselhafte Wesen scheinbar bevorzugt im E&D aufzuhalten schien.
    Während Beckett sich bereits einiger angeblicher Geisterkontakte rühmte, hatte Owen dieses Vergnügen bislang nicht gehabt. Er kannte Elizabeth nur aus Erzählungen. Deshalb klappte ihm jetzt die Kinnlade herunter, als die Tür des Badezimmers abwechselnd zu- und aufflog, um irgendwann wie von selbst ins Schloss zu fallen. Oder wie von Geisterhand, dachte Owen.
    »In Ordnung, okay. Hm, tut mir leid, wenn ich störe. Ich wollte nur …« Die Zimmertür wurde ihm direkt vor der Nase zugeworfen, und nur ein beherzter Satz nach hinten bewahrte ihn davor, dass sein Gesicht Bekanntschaft mit dem dicken Holz machte.
    »Aber hallo, was soll denn das? Inzwischen müsstest du wissen, wer ich bin. Ich bin Owen, Becketts Bruder, und jeden Tag hier. Deshalb dürftest du eigentlich gemerkt haben, dass von mir nichts Böses droht und ich in friedlicher Absicht komme, wie man so sagt.«
    Er zuckte zusammen, denn schon wieder öffnete sich die Tür des Badezimmers und flog gleich darauf erneut krachend zu. Elizabeth schien verstimmt, dachte er. »Pass auf, dass du nichts kaputt machst in deiner Wut. Was hast du überhaupt für ein Problem? Ich wollte nur … Oh, verstehe.«
    Er räusperte sich leise, nahm die Wollmütze vom Kopf und fuhr sich mit den Händen durch das dichte dunkelbraune Haar. »Hör zu, du warst mit ›Blödmann‹ nicht gemeint. Ich dachte, Ry sei hier oben. Du kennst doch meinen anderen Bruder Ryder? Der kann manchmal echt ein Blödmann sein.« Owen langte sich an den Kopf. Nicht zu fassen, dachte er. Da stand er im Flur eines noch nicht fertigen Hotels und redete mit einem Geist. Entschuldigte sich sogar bei ihm.
    Als die Tür wieder einen Spaltbreit aufging, schob er sich vorsichtig in den Raum. »Ich mach nur schnell die Balkontüren zu. Sie dürfen nämlich nicht die ganze Nacht offen stehen.« Hohl hallte das Echo seiner Stimme in dem leeren Zimmer. Grundgütiger, was tat er da?
    Er war erleichtert, als im Haus gegenüber auf der anderen Straßenseite plötzlich Licht anging. In Averys Apartment. Kurz darauf sah er sie durchs Zimmer laufen. Sehr handfest und gar nicht geisterhaft.
    Dafür nahm hier, sobald er die Balkontür geschlossen hatte, der süße Geißblattduft zu. »Ich hab dich schon mal gerochen«, murmelte er, ohne seinen Blick vom Fenster gegenüber abzuwenden. »Beckett sagt, du hättest ihn gewarnt, als dieses Arschloch Sam Freemont in Clares Wohnung eingestiegen ist. Das war echt nett von dir. Die beiden werden heiraten: Beck und Clare. Was du sicherlich schon weißt. Und auch dass er sie bereits seit einer Ewigkeit liebt.«
    Owen trat durch die geöffnete Tür des Badezimmers, schaute sich in dem ungewöhnlich geformten Spiegel über dem Waschtisch an. Es ließ sich nicht leugnen: Mit seinen weit aufgerissenen Augen und den zerzausten Haaren sah er ziemlich panisch aus. Automatisch strich er mit den Fingern durch die wirren Strähnen.
    Das kam davon, wenn man sich mit Geistern einließ.
    »Ich dreh jetzt schnell meine Runde zu Ende und hau dann ab. Nur damit du informiert bist: Bald ist das Haus fertig. In einigen Räumen fehlt noch der Feinschliff, bei dir aber nicht. Die Handwerker sind froh, dass sie hier nichts mehr zu tun haben. Irgendwie war ihnen dieses Zimmer nicht ganz geheuer. Womit ich dir nicht zu nahe treten will. Also, dann erst einmal … Wir sehen uns morgen oder auch nicht. Wer weiß …«
    Wie auch immer, überlegte er und tastete sich rückwärts aus dem Raum, während ihn der Geißblattduft noch eine Weile begleitete. Obwohl Elizabeth eindeutig zu den guten Geistern zu gehören schien, war er heilfroh, als er wieder auf der Straße stand und die Tür hinter sich schloss.
    Draußen wurde es langsam hell, als Owen, Kaffee und Gebäck jonglierend, quer über den mit Raureif bedeckten Parkplatz lief und abermals das Hotel betrat. Er
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