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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Autoren: Sergio Bambaren
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stolperst, wenn Du Fehler machst und Deine Lektion lernen musst, solange wirst Du auch Dein eigenes Leben leben, frei von Vorurteilen und ohne Rücksicht darauf, was andere denken oder sagen.
    Ich weiß, dass Du das kannst. Es liegt in Deiner Veranlagung, in Deinen dunklen Augen und in Deinem Herzen.

II
    Ich hatte eine wunderschöne Kindheit. Nicht nur zu Hause, sondern auch mit meinen Freunden aus der Nachbarschaft und später mit denen aus der Schule. Ich hatte das Glück, das Markham College besuchen zu dürfen, damals und heute eine sehr angesehene britische Schule.
    Ich erinnere mich noch an meinen ersten Tag im Kindergarten. Meine Mutter brachte mich hin, ich trug eine Spielschürze. Plötzlich war ich von vielen Kindern umgeben, die sich wie ich an die Hand ihrer Mutter klammerten. Und ich erinnere mich auch noch, dass viele weinten. Für manch eine Mutter war die Vorstellung schlimm, ihr Kind bei Miss Martin zu lassen, einer netten jungen Australierin. Einige Kinder heulten, weil sie bei der Mutter bleiben wollten. Doch irgendwann gingen die meisten Mütter, andere stellten sich draußen heimlich ans Fenster, betrachteten ihre Lieben und waren stolz darauf, sie an einem sicheren Ort zu wissen, wo sie viele wichtige Dinge fürs Leben lernen würden.
    Ich hingegen war so fasziniert von der neuen Umgebung, dass ich gar nicht bemerkte, wie meine Mutter ging. Vor dem Zimmer blieb sie noch einmal stehen und beobachtete mich vorsichtig – sie dachte, ich würde sie nicht sehen. Und tatsächlich war ich ganz auf die hübsche Brosche konzentriert, die Miss Martin trug, sie glänzte wie ein Goldschatz. Miss Martin sah, wie fasziniert ich war, sie kam zu mir, gab mir einen Kuss, entfernte die Brosche vorsichtig von ihrer Bluse und steckte sie mir an die Schürze. »Die ist für dich«, sagte sie lächelnd. Dann gab sie mir noch einen Kuss und ging zurück zu ihrem Pult. Wir hatten unsere erste »Stunde«, das war wirklich toll. Um uns die Aufregung zu nehmen, spielte sie Musik auf einem alten Kassettenrekorder und sagte: »Lasst uns tanzen!« Sofort sprangen wir auf und tanzten, wenn man das so nennen kann … Ich würde es vielmehr als Auf- und Abhüpfen bezeichnen, bei dem wir uns langsam gegenseitig in unserer neuen Umgebung kennenlernen konnten.
    Doch während ich wie alle anderen umhersprang, musste ich unablässig auf die Brosche an meiner Schürze starren. Als meine Mutter mich später abholte, erklärte sie mir, dass die Brosche ein Känguru darstellte – ein Tier, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.
    War das ein Omen?
    Ich hatte damals noch keine Ahnung. Heute, über vierzig Jahre später, weiß ich, dass es tatsächlich ein Vorbote dessen war, was kommen sollte. Doch dazu musste ich mein Leben auf meine Weise leben, musste meinem Herzen und meinen Träumen folgen. Und in harten Zeiten musste ich schwere Entscheidungen treffen: Ich durfte nicht auf die Menge hören, sondern nur auf die Stimme meines Herzens.

ich weiß noch genau, wie ich Dich zum ersten Mal von der Krabbelgruppe abholte, in der Du in der Obhut liebevoller Betreuer Freunde finden und die Welt erkunden wirst.
    Ehrlich gesagt hatte ich ein wenig Angst. Schließlich weiß niemand von vornherein, wie man sich als Vater oder Mutter richtig verhält. Das lernt man durch Ausprobieren und durch Fehler. Als Kind denkt man immer, Eltern und Lehrer hätten auf alles eine Antwort, und man fühlt sich bei ihnen geborgen. Doch nichts wäre weiter von der Wahrheit entfernt, Daniel: Erwachsene werden immer unsicherer, je älter sie werden.
    Doch eines kann ich Dir mit Sicherheit sagen: Zur Schule gehen, mit anderen Kindern spielen, Spaß haben und Freundschaften schließen, die vielleicht ein Leben lang halten – das sind Erinnerungen, die man zeitlebens hütet wie einen Schatz.
    Ich weiß, dass Du irgendwann einmal zu müde oder zu faul sein wirst, Hausaufgaben zu machen. Vielleicht gerätst Du auch in eine Rangelei mit einem anderen Jungen. Oder Du wirst versuchen uns auszutricksen, indem Du sagst: »Ich bin krank«, nur weil Du nicht zur Schule gehen willst. Kann sein. Ich habe mir zu diesem Zweck vor dem Schlafengehen immer eine Bananenschale unter den Arm geklemmt, und am nächsten Morgen hatte ich hohes Fieber. Das hat immer geklappt – bis mein Vater, der ja schließlich ein guter Arzt war, meinen Trick durchschaute. Und von da an gab es bei uns keine Bananen mehr …
    Ich bin mir ganz sicher, Daniel, dass Deine Schulfreunde Dich Dein ganzes
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