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Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Autoren: Sergio Bambaren
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und manchmal wirst Du Dich sicherlich verloren darin fühlen. Sollte das eines Tages eintreten, dann hoffe ich, Du kommst zu mir und wir reden darüber – von großem Kind zu kleinem Kind. Vielleicht kann es Dir – und auch mir – helfen, wieder klarer zu sehen. Und wenn irgendwann für mich die Zeit gekommen ist, diese Erde zu verlassen, dann können Dir diese Worte, die ich für alle Zeiten für Dich niedergeschrieben habe, helfen zu begreifen, dass diese Reise, die man Leben nennt, mit all ihren guten und schlechten Erfahrungen ein tolles Abenteuer ist, wenn Du es so lebst, wie ich es getan habe: indem Du auf die Stimme Deines Herzens hörst; indem Du Dir Deinen eigenen Weg bahnst, anstatt anderen zu folgen; indem Du jeden Tag in vollen Zügen genießt. Das Einzige, was Dir wirklich gehört, Daniel, sind Deine Träume und Dein freier Wille, Dein Leben nach Deiner Fasson zu gestalten. Alles andere ist nur geliehen. Wahrscheinlich ist das die wichtigste Lektion, die ich bislang gelernt habe, und eines der wichtigsten Gepäckstücke auf der Reise ins Glück – jedenfalls in meinen Augen. Ich würde mir auch wünschen, dass diese Briefe Dir helfen zu verstehen, wer ich tief in meinem Inneren bin und warum ich mein Leben auf meine Weise gelebt habe.

    Aber so weit, so gut erst einmal, ja? Es gibt so vieles, was ich mit Dir teilen möchte – bis zu diesem großen Tag, wenn Du flügge sein und auf Deinen eigenen Schwingen aus dem Nest fliegen wirst.
    Nur noch eins, Daniel: Vergiss nie, dass meine Liebe für Dich wie der Wind ist – Du kannst sie nicht sehen, nicht berühren, aber Du wirst sie immer spüren, egal, wo Du bist oder wo ich gerade bin.

I
    Geboren wurde ich in der Clínica Americana in Lima, einer Privatklinik, wo mein Vater die psychiatrische Abteilung leitete. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag meiner Geburt – natürlich sagten mir später viele Leute, dass das gar nicht sein könne, dass ich das alles nur erfinden würde oder erzählt bekommen hätte. Doch im Lauf der Jahre wurde mir klar, dass das Wort unmöglich nur in den Köpfen derer existiert, die Begriffen wie unmöglich, Neid, Hass, Groll oder Gier dort eine Heimat geben. Ich kann nur für mich selbst sprechen, und wenn ich die Augen schließe, erkenne ich das Wörterbuch meines Verstandes und meines Herzens und sehe, dass ich mit der Zeit und mit ein wenig Übung diese Wörter, die ein Hindernis auf der Reise zum Glück sind, ausradieren konnte.
    Allen, die meinen, es sei unmöglich, sich an seine eigene Geburt zu erinnern, möchte ich Folgendes erzählen: Mein Vater und der Arzt, die bei der Geburt dabei waren, sagten mir einmal, sie hätten sich beide gewundert, wie wach ich sie angeblickt hätte, nachdem sie mich gewaschen, beruhigt und in eine Klinikdecke eingewickelt hatten. Nach dem ersten Schreck, aus der warmen, wogenden, mit Wasser gefüllten Höhle, in der ich mich so sicher gefühlt hatte, herausgespült worden zu sein, hörte ich auf zu weinen und gähnte. Dann schlug ich die Augen wieder auf und sah dieses wunderschöne Gesicht, dessen Augen mich voller unbeschreiblicher Liebe anblickten, und ich lächelte zurück. Es war das Gesicht meiner Mutter. Ich schlief ein, weil ich wusste, dass ich nur von einem schönen Ort an einen anderen schönen Ort gebracht worden war – aus dem Bauch meiner Mutter in ihre zärtlichen Arme. Ich hatte ein Lächeln auf den Lippen, denn ich war sicher, dass alles in Ordnung ist. Daran erinnere ich mich.
     
    Meine Familie gehörte der oberen Mittelschicht Perus an. Wir wohnten in einem großen alten Haus im Limaer Stadtteil Miraflores – auf den fünfzig Meter hohen Klippen mit Blick auf das Meer und den weiten Horizont. Ich hatte ein kleines Zimmer im Obergeschoss mit einem Rundbogenfenster und einer Veranda, wo ich sitzen, den Duft des Meeres einatmen und zusehen konnte, wie sich unten in der Brandung die Wellen brachen. Hin und wieder kam eine Möwe zu mir und sagte mir guten Tag.
    So begann meine Beziehung zur Welt und zur Natur, umgeben vom Meer und den Möwen, von einem fürsorglichen Vater, einem älteren Bruder und einer liebenden Mutter. Von ihr habe ich die meisten positiven Veranlagungen geerbt: Sensibilität, ein großes Herz, die Liebe zum Leben und zu den kleinen, einfachen Dingen, die aus unserem Dasein eine so wunderbare Reise machen. Aber bekanntlich ist nichts vollkommen, und später sollte ich herausfinden, dass ich auch ein medizinisches Problem von ihr mit auf
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